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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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hatte. Dr. Whitney hatte an einem Finger ein eingerissenes Nagelbett, einer der Studenten eine kleine offene Brandwunde an der Hand. Für die beiden Männer waren diese Verletzungen nichts als eine lästige Kleinigkeit, doch innerhalb weniger Tage begann der Arm des Arztes zu kribbeln. Etwa in der Höhe des Ellbogens zeigte sich eine erbsengroße Rötung, von der eine dünne rote Linie bis zum verletzten Nagelbett verlief. Der Arm schwoll sehr schnell auf das Doppelte seines normalen Umfangs an, und der Arzt wurde von hohem Fieber und heftigem Erbrechen heimgesucht. Unterdessen war auch der Student mit der Brandwunde fiebrig geworden, und innerhalb weniger Tage verschlechterte sich sein Zustand dramatisch. Seine Haut färbte sich violett, sein Bauch schwoll stark an, und schließlich starb der junge Mann. Auch Dr. Whitney stand an der Schwelle zum Tod, doch er erholte sich langsam und wurde wieder gesund. Der zweite Medizinstudent, der die Autopsie ohne eine Verletzung an den Händen durchgeführt hatte, zeigte kein ernst zu nehmendes Symptom. Der Fall wurde bekannt, und die Ärzte in Boston diskutierten über eine naheliegende Verbindung zwischen offenen Wunden und einer Infektion mit Kindbettfieber, kamen aber kaum zu Ergebnissen. Einige Monate später untersuchte dann in Lynn ein Arzt mit offenen Wunden an den Händen eine Frau mit Kindbettfieber und starb innerhalb weniger Tage an einer massiven Infektion. Bei einer Versammlung der Boston Society for Medical Improvement wurde eine interessante Frage aufgeworfen: Was wäre passiert, wenn der Arzt keine offenen Wunden an den Händen gehabt hätte? Auch wenn er sich nicht infiziert hätte, hätte er dann nicht infektiöses Material an seinen Händen herumgetragen und für seine Verbreitung gesorgt, sooft er mit der offenen Wunde eines anderen Patienten oder dem blutenden Unterleib einer frisch entbundenen Mutter in Berührung gekommen wäre?
    Oliver Wendell Holmes war diese Frage nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Mehrere Wochen lang beschäftigte er sich mit ihr, er besuchte Bibliotheken, las in seinen eigenen Aufzeichnungen und erbat Fallberichte von Ärzten, die als Geburtshelfer praktizierten. Wie ein Mann, der ein Mosaik zusammensetzt, stellte er eine schlüssige Beweiskette auf, die ein ganzes Jahrhundert ärztlicher Erfahrung aus zwei Kontinenten abdeckte. Die Fälle waren nur sporadisch aufgetreten und hatten keinen Eingang in die medizinische Fachliteratur gefunden. Erst als sie zusammengestellt und miteinander verglichen wurden, ergab sich aus ihnen eine überraschende und zugleich fürchterliche Erkenntnis: Kindbettfieber wurde von Ärzten, Krankenschwestern, Hebammen und Krankenhausbediensteten verursacht, die nach der Berührung mit einer infizierten Frau andere, nicht infizierte Frauen untersuchten und so zum Fiebertod verurteilten. Das Kindbettfieber habe sich als eine Seuche entpuppt, für die der Ärztestand selber verantwortlich sei, schrieb Holmes. Und es müsse als Verbrechen gelten, als Mord, wenn ein Arzt, der dies wisse, eine Frau infiziere.
    Zweimal las Rob J. die Artikel. Wie gerne hätte er diese Theorie verächtlich abgetan, doch Holmes’ Fallberichte und Statistiken waren für jemanden, der sie unvoreingenommen las, nicht angreifbar. Wie konnte dieser lächerliche Doktor aus der Neuen Welt mehr wissen als Sir William Fergusson? Manchmal hatte er Sir William bei Autopsien an Patientinnen assistiert, die an Kindbettfieber gestorben waren.
    Danach hatten sie mitunter schwangere Frauen untersucht. Und jetzt zwang er sich, sich an die Frauen zu erinnern, die nach solchen Untersuchungen gestorben waren. Allem Anschein nach konnte er in medizinischen Dingen theoretisch und praktisch von diesen Provinzlern doch noch etwas lernen.
    Er stand auf und drehte den Docht höher, weil er das Material noch ein drittes Mal studieren wollte, doch da hörte er ein Kratzen an der Tür, und Margaret Holland schlüpfte ins Zimmer. Sie zierte sich etwas beim Ausziehen, doch in der kleinen Kammer gab es keinen Platz, wo sie sich hätte zurückziehen können, und außerdem zog er sich ebenfalls bereits aus. Sie legte ihre Sachen zusammen und nahm die Kette mit dem Kruzifix ab. Ihr Körper war mollig, aber muskulös. Rob massierte die Druckstellen, die das Fischbeinkorsett auf ihrem Körper hinterlassen hatte, und wollte gerade zu erregenderen Zärtlichkeiten übergehen, als ein entsetzlicher Gedanke ihm unvermittelt innezuhalten gebot.
    Er ließ von ihr ab, stand

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