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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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die Kirche besuchen konnte. Doch Rob J. ging Sonntag für Sonntag in den Distrikt, da er an diesem Tag ohne das Diktat der Patientenscheine frei über seine Zeit verfügen konnte. So waren in kürzester Zeit seine sonntäglichen, meist unentgeltlichen Hausbesuche zu einer festen Einrichtung geworden, denn wohin er sah, gab es Krankheiten, Verletzungen und Seuchen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem Arzt, der das Ersische beherrschte, die uralte gälische Sprache der Iren und der Schotten. Sogar die Verbittertsten und Übellaunigsten wurden fröhlich und heiter, wenn sie die Laute der alten Heimat aus seinem Mund hörten. Beannacht De ort, dochtulr oig! Gott sei mit dir, junger Doktor! riefen sie ihm nach, wenn er durch die Straßen ging. Einer erzählte dem anderen von dem jungen Doktor, der »die Sprache spreche«, und bald redete er im Distrikt fast nur noch gälisch. Doch während man ihn in Fort Hill verehrte, war er in der Apotheke der Boston Dispensary weniger beliebt, denn plötzlich tauchten hier alle möglichen Patienten auf, die Rezepte von Dr. Robert Cole vorwiesen für Medikamente und Krücken, ja sogar für Nahrungsmittel, die er bei Unterernährung verschrieb.
    »Was geht denn da vor? Hm? Die stehen nicht auf der Liste der Patienten, die unsere Spender zur Behandlung empfohlen haben«, beklagte sich Mr. Wilson.
    »Aber es sind diejenigen im achten Distrikt, die unsere Hilfe am dringendsten brauchen.«
    »Trotzdem. Wir können nicht zulassen, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Wenn Sie bei der Dispensary bleiben wollen, Dr. Cole, müssen Sie unsere Regeln beachten!« ermahnte ihn Mr. Wilson streng. Einer seiner Sonntagspatienten war Peter Finn vom Half Moon Place, der an einem Riss in der rechten Wade litt. Er hatte sich im Hafen ein paar Dollar verdienen wollen, als eine Kiste von einem Wagen fiel und ihm die Verletzung zufügte. Der nur mit einem schmutzigen Lumpen verbundene Riss war bereits stark geschwollen und schmerzte, als Finn ihn dem Arzt zeigte. Rob wusch und nähte die ausgefransten Fleischränder, doch die Wunde fing sofort an sich zu entzünden, und schon am nächsten Tag musste er die Nähte wieder entfernen und eine Drainage legen. Die Infektion breitete sich mit erschreckendem Tempo aus, und nach wenigen Tagen wusste Rob J. dank seiner Gabe, dass er das Bein abnehmen musste, wenn er Peter Finns Leben retten wollte. Es war ein Donnerstag, und die Operation konnte nicht bis Sonntag aufgeschoben werden, also musste er der Dispensary wieder einmal Zeit stehlen. Und er war nicht nur gezwungen, einen der kostbaren Blankoscheine zu verwenden, die er von Dr. Holmes hatte, er musste Rose Finn auch von seinem wenigen, schwer verdienten Geld geben, damit sie den Krug schwarz gebrannten Whiskeys besorgen konnte, der für die Operation so notwendig war wie das Messer. Joseph Finn, Peters Bruder, und sein Schwager Michael Bodie erklärten sich widerstrebend bereit, Rob J. zu assistieren. Er wartete, bis Peter von dem mit Morphium versetzten Whiskey halb besinnungslos auf dem Küchentisch lag wie ein Opferlamm. Doch schon beim ersten Anblick des Skalpells traten dem Dockarbeiter in ungläubigem Entsetzen die Augen aus den Höhlen, seine Nackenmuskeln schwollen an, und sein Aufschrei war wie eine Anschuldigung, die den Bruder erbleichen und den Schwager hilflos und zitternd dastehen ließ. Rob J. hatte das verletzte Bein am Tisch festgebunden, da aber Peter brüllend um sich schlug wie ein Tier in Todesangst, schrie er die beiden Männer an: »Haltet ihn fest! Haltet ihn doch fest!« Er führte das Messer, wie er es von Fergusson gelernt hatte, präzise und schnell. Die Schreie verstummten, als er durch Fleisch und Muskeln schnitt, doch das Zähneknirschen des Mannes war noch schlimmer als sein Brüllen. Als Rob J. die Oberschenkelarterie durchtrennte, spritzte hellrotes Blut heraus, und er versuchte, Bodies Hand zu nehmen und ihm zu zeigen, wie er den Blutfluss abdrücken konnte. Der Schwager aber wich zurück. »Komm her, du verdammter Hurensohn!«
    Doch Bodie rannte weinend die Treppe hinunter. Rob J. versuchte zu arbeiten, als hätte er sechs Hände. Dank seiner Körpergröße und seiner Kraft gelang es ihm, zusammen mit Joseph den um sich schlagenden Peter auf den Tisch niederzudrücken und gleichzeitig das schlüpfrige Ende der Arterie mit den Fingern zusammenzudrücken. Doch als er losließ, um nach der Säge zu greifen, begann die Blutung von neuem. »Zeigen Sie mir, was

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