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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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was bleibt für mich zu tun?« Major Coppersmith runzelte die Stirn und glättete mit dem Zeigefinger seinen Schnurrbart. »Nun, Sie können sich um die Bahrenträger kümmern, Dr. Cole«, antwortete er.
    So wurde Rob J. Opfer seiner eigenen Schöpfung, gefangen in dem von ihm selbst gesponnenen Netz. Er hätte Besseres gewusst, als sich um die Bahrenträger zu kümmern, doch nachdem ihre Belange nun seine einzige Aufgabe waren, erschien es ihm ein Unding, sich darauf zu beschränken, die Trupps nur hinauszuschicken und zuzusehen, was mit ihnen geschah. Also stellte er einen eigenen Trupp zusammen: zwei Musiker - den neuen Kornettbläser Alan Johnson und den Querpfeifer Lucius Wagner - und als vierten Bahrenträger Corporal Amasa Decker, den Posthalter und Briefträger des Regiments. Die Trupps rückten abwechselnd aus. Er erklärte den neuen Männern, was er schon den ersten fünf Trägern erklärt hatte, von denen jetzt einer tot und der andere amputiert war, dass nämlich die Bergung von Verwundeten nicht gefährlicher sei als alles andere, was mit dem Krieg in Verbindung stehe. Wieder redete er sich ein, dass alles gutgehen werde, und er fügte seinen Trupp in den Wechseldienst ein.
    Das 119. Regiment und eine ganze Anzahl anderer Einheiten der Potomac-Army folgten der Spur der Konföderierten entlang des Rappahannock zu seinem größten Nebenfluss, dem Rapidan. Sie marschierten Tag für Tag am Wasser entlang, in dem sich nur das Grau des Himmels spiegelte. Lee war, sowohl was die Truppenstärke als auch was die Versorgung betraf, unterlegen und nicht auf eine Konfrontation aus. Die Lage in Virginia spitzte sich erst zu, als das Kriegsglück im Westen die Union verließ. General Braxton Braggs Konföderierte führten am Chickamauga Creek bei Chattanooga einen schrecklichen Schlag gegen General William Rosecrans’ Unionstruppen, der die Bundesarmee mehr als sechzigtausend Mann kostete. Lincoln und sein Kabinett hielten eine Krisensitzung ab und beschlossen, Hookers beide Korps von der Potomac-Army in Virginia abzuziehen und per Eisenbahn nach Alabama zu schicken, um Rosecrans zu unterstützen. Nachdem Meades Heer um zwei Korps ärmer war, hörte Lee auf davonzurennen. Er teilte seine Armee und versuchte, Meade in die Zange zu nehmen, indem er in westlicher und nördlicher Richtung auf Manassas und Washington zumarschierte. Damit begannen die Scharmützel.
    Meade achtete darauf, zwischen Lees Heer und Washington zu bleiben. Doch die Unionsarmee fiel bei sporadischen Kämpfen immer wieder ein, zwei Meilen zurück, bis es schließlich vierzig Meilen waren. Rob J. bemerkte, dass jeder Bahrenträger anders an seine Aufgabe heranging. So legte Wilcox eine verbissene Entschlossenheit an den Tag, während Ordway mit sorgloser Tapferkeit vorging, wenn er wie eine große, hinkende Krabbe zu einem Verwundeten eilte und ihn mit den anderen vorsichtig zurücktrug, indem er seine Ecke der Bahre hoch und gerade hielt und mit der Muskelkraft der Arme seinen unregelmäßigen Gang ausglich. Rob J. hatte mehrere Wochen Zeit, um über den ersten Einsatz seiner Mannschaft nachzudenken, bis es soweit war. Leider hatte er ebensoviel Phantasie wie Robinson -vielleicht sogar noch mehr: Er konnte sich alle möglichen Arten und Umstände vorstellen, getroffen zu werden. In seinem Zelt fertigte er inzwischen beim Licht der Lampe eine Reihe von Zeichnungen an, die Wilcox’ Mannschaft im Einsatz zeigten: drei Männer, gebückt gegen einen möglichen Ansturm von Bleikugeln, der vierte, im Rennen die Bahre als armseligen Schild vor sich haltend. Er zeichnete Ordway beim Zurückkommen, wie er hinten rechts die Bahre trägt. Während die anderen drei angespannte, furchtsame Gesichter zeigen, sind Ordways schmale Lippen zu einer Mischung aus Lächeln und Hohn verzogen: ein Mann ohne erkennbare Begabungen, der endlich etwas gefunden hat, das er wirklich gut kann. Was wird Ordway tun, fragte sich Rob J., wenn der Krieg zu Ende ist und er keine Verwundeten mehr vom Schlachtfeld bergen kann?
    Von seiner eigenen Mannschaft machte Rob J. keine Zeichnungen: Sie war bisher noch nicht ausgerückt. Der erste Einsatz erfolgte am 7. November. Das 119. Indiana wurde in der Nähe eines Ortes namens Kelly’s Ford über den Rappahannock geschickt. Das Regiment überquerte den Fluss am späten Vormittag, wurde jedoch durch intensiven Beschuss aufgehalten, und innerhalb von zehn Minuten bekam der Sanitätstrupp die Nachricht, dass ein Verwundeter zu bergen sei.

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