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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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flüsterte ihm ins Ohr. »Brüder und Schwestern«, sagte Sydney dann, und offensichtlich hatte er Mühe zu sprechen. »In Rock Island ist ein Telegramm eingetroffen ... Robert E. Lee hat sich gestern mit seiner Armee General Grant ergeben.« Ein Raunen ging durch die Gemeinde. Einige standen auf. Shaman sah, dass sein Bruder sich mit geschlossenen Augen in der Bank zurück lehnte.
    »Was bedeutet das, Shaman ?« fragte seine Mutter.
    »Das bedeutet, dass es endlich überstanden und vorbei ist«, antwortete Shaman.
    Shaman kam es so vor, als wären die Leute, wohin er in den nächsten Tagen auch kam, vor Frieden und Hoffnung trunken. Sogar die Schwerkranken lächelten und sprachen davon, dass nun bessere Tage angebrochen seien, und überall herrschten Freude und Lachen - doch auch Trauer, denn jeder kannte einen, der dem Krieg zum Opfer gefallen war.
    Als Shaman am Donnerstag nach seinen Hausbesuchen zurückkehrte, wartete Alex hoffnungsvoll und zugleich ängstlich auf ihn, denn Alden zeigte verwirrende Symptome. Seine Augen waren offen, und er war bei Bewusstsein. Aber die Rasselgeräusche in seiner Lunge, sagte Alex, seien stärker geworden. »Außerdem fühlt er sich heiß an.«
    »Hast du Hunger, Alden?« fragte ihn Alex. Alden sah ihn an, sagte aber nichts. Shaman und Alex stützten ihn auf und fütterten ihn mit Suppe, aber es war schwierig, weil er immer stärker zitterte. Seit Tagen gaben sie ihm nur Suppe oder Haferschleim, da Shaman Angst hatte, er könne feste Nahrung in die Luftröhre bekommen. Shaman goss Terpentin in einen Kübel mit heißem Wasser, ließ Alden den Kopf über den Dampf halten und breitete ein Handtuch darüber. Lange atmete Alden die Dämpfe ein, bekam aber schließlich einen so heftigen Hustenanfall, dass Shaman den Kübel entfernte und diese Behandlung nicht noch einmal versuchte. In Wirklichkeit hatte er kein Mittel mehr, das Alden noch helfen konnte.
    Die bittersüße Freude dieser Woche schlug am Freitagnachmittag in Entsetzen um. Als Shaman die Hauptstraße entlangritt, sah er sofort, dass die Nachricht von einer entsetzlichen Katastrophe die Runde machen musste. Die Leute standen in kleinen Gruppen beisammen und redeten. Er sah Anna Wiley, die weinend auf der Veranda ihrer Pension an einem Pfosten lehnte. Simeon Cowan, der Mann von Dorothy Burnham Cowan, saß auf seinem Buckboard, die Augen halb geschlossen, die Lippen zwischen Zeigefinger und rissigem Daumen eingeklemmt. »Was ist denn los?« fragte Shaman Simeon und war überzeugt davon, dass man den Frieden widerrufen hatte. »Abraham Lincoln ist tot. Er wurde gestern Abend in einem Theater in Washington von dem verdammten Schauspieler Booth erschossen.« Shaman weigerte sich, einer solchen Nachricht Glauben zu schenken, doch sie wurde ihm von allen Seiten bestätigt, als er abstieg und die Leute fragte. Obwohl niemand etwas Genaues wusste, war doch offensichtlich, dass die Geschichte stimmte, und er ritt heim, um Alex die Neuigkeit zu berichten.
    »Der Vizepräsident wird an seine Stelle treten«, sagte Alex. »Andrew Johnson ist bestimmt schon vereidigt.« Dann saßen sie lange schweigend im Wohnzimmer. »Unser armes Land!« sagte Shaman schließlich, als wäre Amerika ein Patient, der lange und heftig gegen die entsetzlichste aller Krankheiten angekämpft hatte und jetzt von einer Klippe gestürzt war.
    Eine graue Zeit zog herauf. Wenn Shaman Hausbesuche machte, sah er nur traurige, ernste Gesichter, und abends läutete immer die Kirchenglocke. Eines Tages half Shaman Alex auf Trude, damit er ausreiten konnte; es war das erstemal seit seiner Gefangennahme, dass Alex auf einem Pferd saß. Bei seiner abendlichen Rückkehr erzählte er Shaman, dass der Klang der Glocke weit über die Prärie hinausgetragen werde, ein trostloser, verlorener Klang.
    Wieder einmal wachte Shaman bei Alden, und als er irgendwann nach Mitternacht den Kopf von seiner Lektüre hob, sah er, dass der alte Mann ihn anblickte. »Willst du etwas, Alden?« Der Knecht schüttelte fast unmerklich den Kopf.
    Shaman beugte sich über ihn. »Alden. Erinnerst du dich noch an den Abend, als vor dem Stall auf meinen Vater geschossen wurde? Und du im Wald nachgesehen und niemanden gefunden hast?« Alden zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Du hast auf meinen Vater geschossen.«
    Alden leckte sich die Lippen. »...Wollt’ ihn nicht treffen... ihm nur Angst einjagen, damit er Ruhe gibt.« »Willst du Wasser?«
    Alden antwortete nicht, doch etwas später fragte er:

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