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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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niedersank. »Was hat ihn wohl zu den Nichtswissern gebracht?« fragte Shaman nach einer Weile.
    Alex erwiderte, ihn habe das nicht überrascht. »Er hatte einen starken Hass in sich. Und er war wegen vieler Dinge verbittert. Er hat mir oft erzählt, dass sein Vater als ein in Amerika Geborener in Vermont als Knecht gestorben sei und dass auch er als Knecht sterben werde. Es ärgerte ihn, wenn er sah, dass Ausländer sich Farmen kauften.«
    »Warum hat er es denn selber nicht getan? Pa hätte ihm doch sicher geholfen, sich etwas Eigenes zu schaffen.« »Etwas war in ihm. Wir haben die ganzen Jahre mehr von ihm gehalten als er selber von sich«, erwiderte Alex. »Kein Wunder, dass er trank. Denk doch nur, womit der arme Kerl die ganze Zeit leben musste!« Shaman schüttelte den Kopf. »Wenn ich über ihn nachdenke, habe ich ihn als einen Mann vor Augen, der insgeheim über Pa lacht. Und der mich an einen Mann verraten hat, von dem er wusste, dass er ein Mörder war.« »Das hat dich aber nicht davon abgehalten, ihn fürsorglich zu pflegen, auch nachdem du es wusstest«, bemerkte Alex.
    »Na ja«, sagte Shaman bitter. »Im Grunde war es das zweitemal in meinem Leben, dass ich einen Menschen töten wollte.«
    »Aber du hast es nicht getan. Statt dessen hast du versucht, ihn zu retten«, sagte Alex. Er sah Shaman an. »... Im Lager in Elmira, da habe ich mich um die Männer in meinem Zelt gekümmert. Wenn sie krank waren, habe ich mir überlegt, was Pa tun würde, und dann habe ich es getan. Es hat mich glücklich gemacht.« Shaman nickte. »Glaubst du, dass ich auch Arzt werden könnte?« Die Frage verblüffte Shaman. Er zwang sich dazu, gründlich zu überlegen, bevor er antwortete. Dann nickte er. »Ich glaube schon, Alex.«
    »Aber ich bin bei weitem kein so gelehriger Schüler wie du.«
    »Du bist viel intelligenter, als du zugeben willst. In der Schule hattest du keine große Lust zu lernen. Aber wenn du jetzt hart arbeitest, glaube ich, dass du es schaffst. Du könntest bei mir in die Lehre gehen.« »Ich möchte so lange bei dir arbeiten, bis ich mich in Chemie und Anatomie und in allem anderen, was ich deiner Meinung nach brauche, genügend vorbereitet habe. Dann möchte ich lieber an eine Medical School gehen, wie ihr - du und Pa - es getan habt. Ich möchte gern in den Osten. Vielleicht bei Pas Freund in Boston studieren, bei Dr. Holmes.«
    »Du hast ja bereits ganz genaue Pläne! Du hast wohl schon sehr lange darüber nachgedacht?« »Ja. Und ich hatte noch nie solche Angst«, erwiderte Alex. Und die beiden lächelten zum erstenmal seit Tagen.

Familiengeschenke
    Auf dem Rückweg von Nauvoo machten die Brüder in Davenport halt und besuchten ihre Mutter, die in dem kleinen, ziegelgemauerten Pfarrhof neben der Kirche hilflos zwischen unausgepackten Schachteln und Kisten saß. Sydney war bereits seelsorgerisch unterwegs. Shaman sah, dass Sarahs Augen gerötet waren. »Stimmt etwas nicht, Ma?«
    »Nein. Sydney ist ein äußerst gütiger Mann, und wir lieben uns sehr Ich will nirgendwo anders sein als hier, aber... es ist eben eine große Veränderung. Alles ist neu und erschreckend, und ich lass mich davon verrückt machen.«
    Aber sie war froh, ihre Söhne zu sehen.
    Sie fing wieder an zu weinen, als sie ihr von Alden erzählten, und es sah aus, als wolle sie nicht mehr aufhören. »Ich weine nicht nur wegen Alden«, sagte sie, als sie versuchten, sie zu trösten, »ich weine auch aus schlechtem Gewissen. Ich habe Makwa-ikwa nie gemocht, und ich war nicht nett zu ihr. Aber...«
    »Ich glaube, ich weiß, wie ich dich auf andere Gedanken bringen kann«, sagte Alex. Er begann, ihre Kisten auszupacken, und Shaman ebenfalls. Nach wenigen Minuten waren ihre Tränen getrocknet, und sie half ihnen. »Ihr wisst ja gar nicht, wo die Sachen alle hingehören!« Beim Auspacken erzählte ihr Alex von seinem Entschluss, Medizin zu studieren, und Sarah hieß ihn respektvoll und erfreut gut. »Darüber wäre Rob J. sehr glücklich gewesen.«
    Sie führte sie durch das kleine Haus. Die Einrichtung war in einem schlechten Zustand und zu spärlich. »Ich werde Sydney bitten, ein paar Möbelstücke in den Schuppen zu bringen, und wir holen uns dann einige von meinen Sachen aus Holden’s Crossing.« Sarah kochte Kaffee und schnitt einen Apfelkuchen an, den eine »ihrer« Gemeindedamen gebracht hatte. Während sie ihn aßen, kritzelte Shaman Ziffern auf die Rückseite einer alten Rechnung. »Was machst du denn da?« fragte

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