Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
hoffe, es sich eines Tages nachschicken lassen zu können. »Hast du den Chopin gelernt?« fragte er, und als Antwort nahm Rob J. die Gambe zwischen die Knie und spielte die ersten satten Töne der Mazurka. Die Musik, die er und Jay damals in Ohio hervorgebracht hatten, war klangvoller gewesen, da Lillian mit dem Piano ihren Teil dazu beigetragen hatte, doch auch jetzt harmonierten die Fiedel und die Gambe hervorragend. Als Sarah die Hausarbeit beendet hatte, setzte sie sich zu den dreien und lauschte. Ihr fiel auf, dass Mrs. Geiger, während die Männer spielten, ihre Finger bewegte, als würden sie Tasten berühren. Sie wollte Lillians Hand fassen und sie mit Worten und Versprechungen trösten, saß dann aber einfach nur neben ihr auf dem Boden und hörte zu, wie die Musik an- und abschwoll und ihnen allen Trost und Hoffnung schenkte.
    Solange Jason Geiger Bäume für eine Hütte fällte, campierte die Familie neben einer Quelle auf ihrem eigenen Land. Sie waren so fest entschlossen, sich den Coles nicht aufzudrängen, wie Sarah und Rob entschlossen waren, ihnen Gastfreundschaft zu gewähren. Man besuchte sich häufig gegenseitig. Als sie an einem kühlen Abend um das Lagerfeuer der Geigers saßen, begannen draußen in der Prärie Wölfe zu heulen, und Jay entlockte seiner einfachen Geige ein ähnlich langgezogenes, bebendes Heulen. Es wurde erwidert, und eine Zeitlang hielten der Mensch und die unsichtbaren Tiere Zwiesprache, bis Jason bemerkte, dass seine Frau nicht nur wegen der Kälte zitterte. Er legte die Fiedel weg und warf ein neues Holzscheit ins Feuer. Jason war kein erfahrener Zimmermann. So verzögerte sich die Vollendung des Cole-Hauses erneut, denn sobald Alden neben der Farmarbeit dazu Zeit fand, begann er, den Geigers eine Hütte zu bauen. Bald kamen auch Otto Pfersick und Mort London dazu, um ihm zu helfen. In kurzer Zeit hatten die drei Männer eine gemütliche Hütte errichtet, und sie bauten noch einen Schuppen an, der als Lager für die Kräuter und Arzneien aus Jays Wagen dienen sollte. Jay nagelte eine kleine Blechröhre an den Türstock, die eine Pergamentrolle mit Sprüchen aus dem Deuteronomium enthielt, ein jüdischer Brauch, wie er sagte, und am 18. November bezog die Familie ihre Hütte, wenige Tage bevor aus Kanada schneidende Kälte herunterzog.
    Zwischen dem Anwesen der Coles und Geigers Hütte rodeten Jason und Rob J. einen Pfad durchs Gehölz. Sie nannten ihn bald den Langen Weg, um ihn von dem Kurzen Weg zu unterscheiden, den Rob schon früher zwischen dem Haus und dem Fluss angelegt hatte. Nun konnten sich die Bauleute wieder dem Haus der Coles widmen. Da sie den ganzen Winter für die Innenausstattung Zeit hatten, zündeten sie in den Kaminen ein Feuer aus Sägespänen an und machten sich frohen Mutes an die Arbeit. Sie schnitten Simse und Wandvertäfelungen aus Eichenkanthölzern und brachten Stunden damit zu, Magermilchfarbe zu mischen, bis sie genau die Tönung hatte, die Sarah wollte. Der Büffel-Sumpf in der Nähe des Bauplatzes war zugefroren, und manchmal unterbrach Alden die Arbeit, schnallte sich Kufen an die Stiefel und führte seine Fertigkeiten als Eisläufer vor, die er in seiner Kindheit in Vermont gelernt hatte. Rob J. war in Schottland jeden Winter Schlittschuh gelaufen und hätte sich gern Aldens Kufen geborgt, aber sie waren viel zu klein für seine großen Füße. Drei Wochen vor Weihnachten fiel der erste Schnee. Der Wind trieb ihn wie weißen Rauch vor sich her, und die winzigen Kristalle brannten auf der Haut. Später fielen große, schwerere Flocken, die die Welt in Weiß erstickten, und so blieb es auch. Mit wachsender Aufregung plante Sarah ihr Weihnachtsessen und besprach mit Lillian althergebrachte Rezepte aus Virginia. Dabei entdeckte sie erste Unterschiede zwischen ihrer Familie und der der Geigers, denn Lillian teilte die Aufregung über das bevorstehende Fest nicht. Sarah war sehr erstaunt, als sie erfuhr, dass ihre neuen Nachbarn die Geburt Christi nicht feierten und statt dessen ein höchst eigenartiges Andenken an irgendeine urzeitliche Schlacht im Heiligen Land pflegten, indem sie Kerzen anzündeten und Kartoffelpfannkuchen buken. Trotzdem schenkten die Geigers den Coles etwas zu Weihnachten, Pflaumenmarmelade, die sie aus Ohio mitgebracht hatten, und warme Socken, die Lillian für alle gestrickt hatte. Das Geschenk der Coles für die Geigers war eine schwere eiserne Bratpfanne auf einem Dreifuß, die Rob J. im Gemischtwarenladen in Rock Island

Weitere Kostenlose Bücher