Medicus 02 - Der Schamane
Zur Mittagszeit kam Rob J. nach Hause. »Wie geht’s Paul Gruber?« fragte Sarah.
»Ach, furchtbare Verbrennungen«, antwortete er müde. »Und starke Schmerzen. Ich hoffe, dass er wieder in Ordnung kommt. Ich habe Makwa dortgelassen, damit sie ihn pflegt.«
»Das ist gut«, sagte sie.
Während er den ganzen Nachmittag und den Abend über schlief, hörte es auf zu regnen, und die Temperatur sank wieder. Er wachte mitten in der Nacht auf und zog sich an, um auf das Aborthäuschen zu gehen. Auf dem Weg dorthin rutschte und schlitterte er, denn der regennasse Schnee war beinhart gefroren. Nachdem er seine Blase entleert hatte und ins Bett zurückgekehrt war, konnte er nicht mehr einschlafen. Er hatte ursprünglich gehofft, am Morgen wieder zu den Grubers reiten zu können, doch jetzt fürchtete er, dass die Hufe seines Pferdes auf dem Eis keinen Halt finden würden. Er zog sich in der Dunkelheit wieder an und schlich sich aus dem Haus, um festzustellen, ob seine Bedenken zutrafen. Als er, so fest er konnte, auf dem Schnee aufstampfte, konnten seine Stiefel die harte, weiße Kruste nicht durchbrechen.
Im Stall fand er die Kufen, die Alden für ihn geschmiedet hatte, und er schnallte sie sich an. Der Pfad, der zum Haus führte, war wegen der vielen Spuren unregelmäßig überfroren und bot eine nur schlechte Gleitfläche, doch dahinter begann die offene Prärie, deren vom Wind blankgewehte Schneedecke glatt und hart war wie Glas. Er glitt über einen funkelnden Mondpfad, zuerst noch zögernd, doch dann, als die alte Sicherheit zurückkehrte, mit immer weiter ausholenden und freieren Bewegungen. Wie ein riesiges arktisches Meer breitete sich die Ebene vor ihm aus, und die einzigen Geräusche, die er hörte, waren das Zischen seiner Kufen und sein eigenes Keuchen. Schließlich ging ihm die Luft aus. Er blieb stehen und betrachtete die fremdartige Welt der gefrorenen Prärie bei Nacht. Ziemlich nah und erschreckend laut erklang das gespenstische Heulen eines Wolfes, und Rob J. stellten sich die Nackenhaare auf. Wenn er stürzte, wenn er sich vielleicht ein Bein brach, dann wäre er schon nach wenigen Minuten von ausgehungerten Raubtieren umringt, das wusste er. Der Wolf heulte noch einmal, vielleicht war es diesmal auch ein anderer, und in diesem Schrei schwang etwas mit - Einsamkeit, Hunger, Wildheit -, das Rob J. angst machte. Er kehrte um und machte sich wieder auf den Heimweg, nun vorsichtiger und zurückhaltender dahingleitend als zuvor, aber doch fliehend wie ein Verfolgter.
In der Hütte angekommen, sah er zuerst nach, ob Alex und der Kleine noch gut zugedeckt waren. Beide schliefen fest. Als er dann ins Bett stieg, drehte seine Frau sich um und wärmte sein eiskaltes Gesicht mit ihren Brüsten. Sie schnurrte und stöhnte sanft, Geräusche der Liebe und der Reue, und umschlang ihn einladend mit Armen und Beinen. Der Arzt war wegen des schlechten Wetters nicht verfügbar; Gruber werde schon ohne ihn zurechtkommen, solange nur Makwa-ikwa bei ihm war, dachte Rob und überließ sich der Wärme des Mundes, des Fleisches und der Seele seiner Frau. Er ging auf in einer vertrauten Beschäftigung, die geheimnisvoller war als das Mondlicht und noch angenehmer als das Gleiten über Eis ohne Wölfe.
Veränderungen
Wäre Robert Jefferson Cole in Schottland zur Welt gekommen, hätte man ihn von Geburt an Rob J. genannt, und sein Vater, Robert Judson Cole, wäre Big Rob, der alte Rob oder einfach Rob ohne die Initiale geworden. Bei den Coles in Schottland behielt der erstgeborene Sohn das J. nur so lange, bis er selbst Vater eines Sohnes wurde, dann gab er den Buchstaben würdevoll und bereitwillig an seinen Erstgeborenen weiter. Rob J. hatte nicht die Absicht, eine jahrhundertealte Familientradition zu durchbrechen, aber er befand sich in einem neuen Land, und die, die er liebte, hielten sich nicht an diese uralten Bräuche. Sooft er es ihnen auch zu erklären versuchte, sie nannten den neuen Sohn nie Rob J. Für Alex war der kleine Bruder am Anfang einfach nur »Baby«. Für Alden hieß er »der Junge«. Makwa-ikwa gab ihm schließlich den Namen, der ein Teil seiner Persönlichkeit werden sollte. Eines Vormittags saß der Junge, der damals noch nicht laufen konnte und gerade erst zu plappern begonnen hatte, mit zwei der drei Kinder von Mond und Der singend einhergeht auf dem Lehmboden des hedonoso-te. Die beiden anderen Kinder hießen Anemoha, Kleiner Hund, und Cisaw-ikwa, Vogelfrau; sie waren drei beziehungsweise zwei
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