Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
üblichen, gemächlicheren Lebensrhythmus wiederaufnehmen. Eines Abends, nachdem er mit Jay Geiger ein Mozart-Duo für Violine und Viola gespielt hatte, brachte Jay das heikle Thema von Sarahs Unglück zur Sprache. Die beiden waren inzwischen gute, enge Freunde geworden, und doch war Rob überrascht, dass Jay es wagte, in eine Welt einzudringen, die er als seine Intimsphäre betrachtete.
    »Woher weißt du so gut über Sarahs Gefühle Bescheid?«
    »Sie redet mit Lillian. Und Lillian redet mit mir«, erwiderte Jay und hielt dann einen Augenblick verlegen inne. »Ich hoffe, du verstehst mich. Ich sage das... aus echter Zuneigung zu euch beiden.«
    »Ich verstehe. Aber hast du neben deiner freundlichen Anteilnahme auch... einen Rat für mich?« »Deiner Frau zuliebe musst du dich von dieser Indianerin trennen.«
    »Zwischen uns ist nichts außer Freundschaft«, erwiderte Rob, ohne seine Verärgerung unterdrücken zu können. »Das ist egal. Ihre bloße Anwesenheit macht Sarah schon unglücklich.«
    »Sie kann doch nirgendwohin. Keiner von ihnen kann irgendwohin. Die Weißen betrachten sie als Wilde und lassen sie nicht so leben, wie sie es früher getan haben. Mond und Der singend einhergeht sind die besten Farmarbeiter, die man sich wünschen kann, aber keiner hier in der Gegend ist bereit, einen Sauk einzustellen, Makwa, Mond und Der singend einhergeht bringen mit dem wenigen, was sie bei mir verdienen, den ganzen Clan durch. Makwa arbeitet schwer, und ich kann mich auf sie verlassen. Ich kann sie doch nicht wegschicken und dem Hungertod oder noch Schlimmerem ausliefern.« Jay seufzte und nickte und sprach nie mehr davon. Das Eintreffen eines Briefes war eine Seltenheit. Fast schon ein Ereignis. Eines Tages kam einer für Rob J. Der Postmeister in Rock Island hatte den Brief, nachdem er fünf Tage bei ihm gelegen hatte, dem Versicherungsmakler Harold Ames mitgegeben, der geschäftlich nach Holden’s Crossing fahren musste. Rob riss den Umschlag neugierig auf. Es war ein langer Brief von Dr. Harry Loomis, seinem Freund in Boston. Er las ihn einmal und dann ein zweitesmal langsamer. Und dann noch einmal. Er war am 20. November 1846 geschrieben worden und hatte den ganzen Winter gebraucht, um seinen Bestimmungsort zu erreichen. Harry war offensichtlich auf dem besten Wege zu einer erstklassigen Karriere. Er berichtete, dass er kürzlich zum Assistenzprofessor für Anatomie in Harvard ernannt worden sei, und deutete seine bevorstehende Heirat mit einer Dame namens Julia Salmon an. Aber der Brief war insgesamt mehr ein medizinischer denn ein persönlicher Bericht. Eine neue Entdeckung lasse nun schmerzfreie Chirurgie Wirklichkeit werden, schrieb Harry mit unverkennbarer Begeisterung. Es sei ein Gas namens Äther, das seit Jahren bei der Herstellung von Wachsen und Parfüms als Lösungsmittel benutzt werde. Harry erinnerte Rob J. an die Experimente, die in Bostoner Krankenhäusern zur Erprobung von Stickstoffoxydul, dem sogenannten Lachgas, als Betäubungsmittel durchgeführt worden waren. Anspielungsreich fügte er hinzu, dass Rob sich vielleicht an gewisse Freizeitbeschäftigungen mit diesem Stoff erinnere, die außerhalb der Krankenhäuser stattgefunden hatten. Rob erinnerte sich noch gut, wenn auch mit etwas gemischten Gefühlen, daran, wie er sich mit Meg Holland ein Fläschchen des Lachgases genehmigt hatte, dessen Spender Harry gewesen war. Vielleicht ließen die Zeit und die Entfernung das Erlebnis schöner und lustiger erscheinen, als es tatsächlich gewesen war.
    Für den 5. Oktober dieses Jahres, schrieb Loomis, war im Operationssaal des Massachusetts General Hospital ein weiteres Experiment geplant, diesmal jedoch mit Äther. Vorangegangene Versuche, den Schmerz mit Stickstoffoxydul zu betäuben, waren komplette Fehlschläge gewesen, bei denen die Studenten und Ärzte auf den Galerien regelmäßig gejohlt und »Humbug! Humbug!« gerufen hatten. Die Experimente waren zu einer allgemeinen Belustigung geworden, und die geplante Operation im Massachusetts General versprach den früheren in nichts nachzustehen. Der Chirurg war Dr. John Collins Warren. Sie werden sich sicher noch daran erinnern, dass Dr. Warren ein abgebrühter, grober Operateur ist, der eher für seine Geschicklichkeit mit dem Skalpell denn für seine Geduld mit Dummköpfen berühmt ist. Also strömten wir an diesem Tag in den Operationssaal, als wäre er ein Kabarett.
    Stellen Sie sich das vor, Rob! Der Mann, der den Äther liefern soll, ein

Weitere Kostenlose Bücher