Medicus 02 - Der Schamane
Mort London immer gut ausgekommen, so dass er viele Autopsien durchführen konnte. Nick Holden war dreimal als Abgeordneter des Distrikts in die Legislative gewählt worden. Manchmal ärgerten sich die Bürger des aufstrebenden Ortes über sein selbstherrliches Auftreten, und sie riefen sich dann gegenseitig ins Gedächtnis, dass er zwar über den Großteil der Bank, Anteile an der Mühle, dem Gemischtwarenladen und diesem Saloon und wer weiß über wie viele Morgen Grund verfügte, aber bei Gott nicht über sie und ihr Land. Aber im allgemeinen sahen sie es mit Stolz und Erstaunen, dass er in Springfield auftrat wie ein richtiger Politiker, mit dem aus Tennessee stammenden Gouverneur Bourbon trank, in gesetzgebenden Ausschüssen mitarbeitete und so schnell und geschickt Fäden knüpfte, dass sie nur ausspucken, grinsen und den Kopf schütteln konnten.
Nick hatte zwei Ziele, über die er auch ganz offen sprach. »Ich will die Eisenbahn nach Holden’s Crossing bringen, damit aus dem Kaff vielleicht mal ‘ne Stadt wird«, sagte er zu Rob J. eines Morgens, während er auf der Veranda vor Haskins Laden saß und sich eine königliche Zigarre schmecken ließ. »Und ich will unbedingt in den Kongress gewählt werden. Die Eisenbahn krieg’ ich nämlich nie hierher, wenn ich in Springfield bleibe.« Seit Nick versucht hatte, Rob J. die Heirat mit Sarah auszureden, taten sie nicht mehr so, als seien sie die besten Freunde, aber sie unterhielten sich freundlich, wenn sie sich trafen. Jetzt sah Rob J. ihn zweifelnd an. »Es ist schwer, ins Repräsentantenhaus zu kommen, Nick. Da brauchen Sie Stimmen aus einem viel größeren Wahlbezirk, nicht nur die von hier aus der Gegend. Und der alte Singleton ist auch noch da.« Der gegenwärtige Kongressabgeordnete Samuel Turner Singleton, den alle im Rock Island County nur »unseren alten Sammil« nannten, saß politisch noch fest im Sattel.
»Sammil Singleton ist alt. Er wird bald sterben oder zurücktreten. Wenn es soweit ist, mache ich jedem im Distrikt klar, dass eine Stimme für mich eine Stimme für den Wohlstand ist.« Nick grinste ihn an. »Ihnen habe ich doch auch auf die Sprünge geholfen, was Doktor?« Rob J. musste zugeben, dass das stimmte. Er hielt jetzt Anteile sowohl an der Mühle wie an der Bank. Bei der Finanzierung des Gemischtwarenladens und des Saloons hatte Nick Rob J. aber nicht mehr eingeladen. Rob verstand. Er war inzwischen in Holden’s Crossing fest verwurzelt, und Nick verschwendete keine Wohltaten, wenn sie nicht nötig waren.
Jay Geigers Apotheke und der ständige Zuzug von Siedlern in die Region lockten bald einen zweiten Arzt nach Holden’s Crossing. Dr. Thomas Beckermann war ein blasser Mann mittleren Alters mit schlechtem Atem und geröteten Augen. Er kam aus Albany in New York und ließ sich in einem kleinen Holzhaus in The Village unweit der Apotheke nieder. Er besaß kein Diplom einer medizinischen Fakultät und sprach nur recht allgemein über seine Ausbildung, die er seinen Angaben zufolge bei einem gewissen Dr. Cantwell in Concord genossen hatte. Anfangs war Rob J. froh über seine Ankunft. Es gab genug Patienten für zwei Ärzte, sofern diese nicht habgierig waren, und Rob hätte diesem zweiten Mediziner gern einen Teil der langwierigen Hausbesuche überlassen, die ihn oft weit in die offene Prärie hinaus führten. Aber Beckermann war ein schlechter Arzt und ein starker Trinker, und beides merkten die Leute sehr schnell. Also musste Rob J. weiterhin zu weit reiten und zu viele Patienten betreuen. Über den Kopf wuchs ihm diese Aufgabe nur im Frühling, wenn die jährlichen Epidemien ausbrachen, das Sumpffieber an den Ufern der Flüsse, die Illinois-Krätze in den Farmen der Prärie und andere ansteckende Krankheiten, die sich über das ganze Land ausbreiteten. Sarah wollte immer an der Seite ihres Mannes den Kranken helfen, und im Frühjahr nach der Geburt ihres zweiten Sohnes drängte sie Rob J., sie doch als seine Assistentin mitzunehmen. Doch sie hatte sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht. In diesem Jahr waren Milchfieber und Masern besonders bedrohlich, und als sie begann, ihm mit ihren Bitten zuzusetzen, hatte er bereits viele Schwerkranke, darunter einige Sterbende, und so konnte er ihr kaum Aufmerksamkeit schenken. Also musste Sarah wieder zusehen, wie Makwa-ikwa den ganzen Frühling über mit ihm ausritt, und ihre Seelenqualen kehrten zurück. Mit dem Beginn des Hochsommers klangen die Epidemien ab, und Rob J. konnte den
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