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Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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der sie oft mürrisch angefahren wurde. Carla war mittleren Alters, sexy, ein Original. Sie hatte einen Gatten, der sie schlug; manchmal, wenn R.J. und Charlie in das Restaurant kamen, hatte Carla einen blauen Fleck am Arm oder ein Veilchen am Auge. Inzwischen war die alte Mutter tot, und Carla ließ sich nicht mehr sehen; sie hatte eins der Mietshäuser gekauft, die ersten beiden Stockwerke entkernt und dort ein großes und komfortables Speiselokal eingerichtet. Jetzt gab es immer eine lange Schlange von Stammgästen, die auf ihre Tische warteten, Geschäftsleute und College-Studenten. R.J. mochte das Restaurant immer noch, das Essen war beinahe so gut wie in den alten Tagen, und sie hatte sich inzwischen angewöhnt, nie ohne Reservierung hinzugehen.
    Sie saß am Tisch und beobachtete, wie ihr Vater, der sich leicht verspätet hatte, auf sie zugeeilt kam. Seine Haare waren inzwischen fast völlig grau geworden. Sein Anblick erinnerte sie daran, daß auch sie älter wurde.
    Sie bestellten Antipasti, Scaloppine di vitello alla Marsala und den Hauswein, und sie redeten über die Red Sox, über das Theaterleben in Boston und über die Arthritis in seinen Händen, die inzwischen ziemlich schmerzhaft war.
    R.J. trank einen Schluck von ihrem Wein und erzählte ihm, daß sie vorhabe, in Woodfield eine Privatpra xis zu eröffnen.
    »Warum eine Privatpraxis?« Er war unübersehbar erstaunt, unübersehbar besorgt. »Und warum in einem solchen Kaff?«
    »Es wird Zeit, daß ich aus Boston wegkomme. Nicht als Ärztin, sondern als Mensch.«
    Professor Cole nickte. »Das verstehe ich. Aber warum gehst du nicht an ein anderes Medical Center? Oder arbeitest für... ich weiß auch nicht, für ein medizinisch-juristisches Institut?«
    Sie hatte von Roger Carleton am Hopkins einen Brief erhalten, in dem er ihr mitteilte, daß im Augenblick keine Mittel für eine Stelle vorgesehen seien, die ihr zusagen würde, daß er ihr aber für sechs Monate Arbeit in Baltimore besorgen könne. Von Irving Simpson hatte sie ein Fax bekommen mit der Mitteilung, daß man sie an der Penn sehr gerne einstellen wolle, und ob sie nicht nach Philadelphia kommen wolle, um über das Finanzielle zu reden.
    »Ich will das alles nicht machen. Ich will eine richtige Ärztin werden.«
    »Ach du meine Güte, R.J.! Was bist du denn jetzt?«
    »Ich will Allgemeinärztin in einem kleinen Ort sein.« Sie lächelte. »Ich glaube, ich bin eine Reinkarnation deines Großvaters.«
    Bemüht, die Fassung zu wahren, musterte Professor Cole seine arme Tochter, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihr ganzes Leben lang gegen den Strom zu schwimmen. »Es gibt einen Grund, warum zweiundsiebzig Prozent aller amerikanischen Ärzte Spezialisten sind, R.J., Spezialisten verdienen das große Geld, zwei- oder dreimal mehr als praktische Ärzte, und sie können nachts durchschlafen. Wenn du Landärztin wirst, machst du dir das Leben sehr viel schwerer. Weißt du, was ich tun würde, wenn ich in deinem Alter wäre, in deiner Lage, so unabhängig, wie du jetzt bist? Ich würde mich fortbilden und fortbilden, alles in mein Hirn stopfen, was gerade noch hineingeht Ich würde ein Superspezialist werden.« R.J. stöhnte. »Keinen Stationsdienst mehr, mein lieber Dad, und auf keinen Fall noch eine Assistenzzeit! Ich will hinter die Technologie sehen, hinter diese ganzen Apparate, ich will die Menschen sehen. Ich habe fest vor, Landärztin zu werden. Ich nehme es in Kauf, weniger zu verdienen. Mir geht es um das Leben.«
    »Das Leben?« Er schüttelte den Kopf. »R.J., du bist wie dieser letzte Cowboy aus diesen Romanen und Liedern, der sein Pferd sattelt und durch endlose Verkehrsstaus und Wohnsiedlungen reitet, immer auf der Suche nach der verschwundenen Prärie.«
    Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Die Prärie ist vielleicht verschwunden, Dad, aber die Hügel gibt es noch, drüben am anderen Ende des Staates, und die sind voller Menschen, die Ärzte brauchen. Die Allgemeinmedizin ist die reinste Form ärztlicher Praxis. Ich werde sie mir selbst zum Geschenk machen.«
    Sie ließen sich Zeit mit dem Essen, redeten viel. Sie hörte aufmerksam zu, denn sie wußte, daß er sich in der Medizin sehr gut auskannte.
    »Schon in wenigen Jahren wirst du das amerikanische Gesundheitssystem nicht mehr wiedererkennen. Es wird sich vollständig ändern«, sagte er. »Der Präsidentschaftswahlkampf ist jetzt in seiner heißen Phase, und Bill Clinton verspricht dem amerikanischen Volk, daß alle

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