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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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bedingte Zugang zu einer ständigen Wasserversorgung hatten hier große Villen wohlhabender Bürger entstehen lassen. Hohe Beamte, Veteranen aus den höheren Rängen der kaiserlichen Garde und reich gewordene Händler mit besonderen Talenten, denen die Gassen der Stückegießer, Weber oder Goldschmiede zum Wohnen zu eng geworden waren, lebten hier. Inzwischen aber war das Aquädukt die meiste Zeit über verstopft. An manchen Stellen hatte es Risse, und wenn es ein paar Tage regnete, rann das Wasser die mächtigen Säulen herab und verbreitete einen üblen Gestank von verfaulendem Blätterwerk. Bei Trockenheit lockte das Aquädukt ganze Vogelschwärme an, die sich in dem angeschwemmten Schlamm ihre Mahlzeiten suchten.
    Auch jetzt kreischten so viele Raben über dem Aquädukt wie sonst nur über einem Schlachtfeld. Ihr Gekrächze war so laut, dass es die Geräusche der Stadt übertönte. Selbst der ferne Geschützdonner vom Bosporus ging darin unter. Seeleute sagten, dass die Türken eine neue Festung bauten und offenbar eifrig damit beschäftigt waren, sie mit Kanonen zu bestücken. Kanonen, die größer und vor allem treffsicherer waren als diejenigen, die sie bisher besessen hatten.
    Wenn der Wind entsprechend stand, dann trug er ihren Klang wie fernes Donnergrollen zur Stadt, was wie eine dunkle Drohung wirkte. Und schon mancher fürchtete, dass die Schifffahrt durch den Bosporus und damit auch die Verbindung zu den verbündeten christlichen Reichen Georgien und Trapezunt und der Weg ins Schwarze Meer bald völlig unterbunden werden würden.
    Marco di Lorenzo schlang sich den Mantel um die Schultern. Er trug die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, sodass man ihn kaum erkennen konnte. Er führte sein Pferd bis zum Portal einer etwas heruntergekommenen Villa, an deren Wänden der Wein üppig emporrankte, sodass die abblätternde, rissige und seit Jahren vernachlässigte Fassade gnädigerweise verdeckt wurde. Sie gehörte einem gewissen Leptonos, dem ehemaligen Kommandanten der kaiserlichen Garde, der durch einen Reitunfall an die Sänfte gefesselt war. Man sagte ihm immer noch großen Einfluss nach, und der derzeitige Kommandant Jason Argiris galt als sein Zögling.
    Ein Diener lief die wenigen Stufen herab und nahm Marco die Zügel ab.
    »Ihr seid Marco di Lorenzo?«
    »So ist es!«
    »So geht die Treppe empor und wartet im Vorraum. Ich werde mich um Euer Pferd kümmern.«
    »Gewiss.«
    Marco tat, wie ihm geheißen. Er passierte das Portal, dessen Tür sich einfach öffnen ließ, und wartete im Eingangsraum, einer Halle mit Marmorboden, in die Licht durch die mit Alabaster versehenen Fenster fiel.
    Marco wartete einige Augenblicke und ging dabei unruhig hin und her. Aus einem benachbarten Raum vernahm er dunkle Männerstimmen. Ihr Tonfall hörte sich nach Streit an. Doch plötzlich waren die Stimmen verstummt.
    Der Diener kehrte zurück, sein Gesicht wirkte vollkommen ausdruckslos und unbewegt. Unter einer Lederweste trug er eine bunte Livree. Beides war ihm zu groß, wahrscheinlich hatte vor ihm ein anderer Bediensteter diese Kleider getragen. Der Diener deutete eine Verbeugung an. »Folgt mir, Herr!«
    Sie schritten durch eine Flügeltür und durchquerten einen großen Raum, der allerdings kaum Einrichtungsgegenstände enthielt. An den Abdrücken an den Wänden war zu erkennen, dass dort einmal Gemälde oder Wandteppiche gehangen hatten. Vielleicht hatte der Eigentümer vieles von dem wertvollen Hausrat verkaufen müssen, um sich den Unterhalt des Anwesens weiterhin leisten zu können.
    Der Diener öffnete eine weitere Flügeltür.
    Dahinter öffnete sich ein kleinerer Raum, dessen Einrichtung etwas weniger karg erschien.
    In einer Sänfte lag Leptonos. Marco erschrak, denn als er ihn zuletzt gesehen hatte, war er noch Kommandant der Garde gewesen. Bei offiziellen Anlässen am Hof, zu denen Luca di Lorenzo seine Familie hatte mitnehmen können, war Leptonos immer in der Nähe des Kaisers zu sehen gewesen. Ebenso während der Gottesdienste in der Hagia Sophia, die Marco als Kind wegen des bunten, aufregenden und irgendwie geheimnisvoll wirkenden Schauspiels, das sich ihm da geboten hatte, immer sehr genossen hatte. Der Ritus der Ostkirche erschien ihm in dieser Hinsicht bis heute mystischer und seelenvoller als die römische Messe.
    Allerdings war der Zauber dieser Geheimnisse für Marco längst verflogen. Spätestens seit dem Pesttod seiner Eltern konnte er damit nichts mehr anfangen. Ganz gleich, nach welchen Riten

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