Medicus von Konstantinopel
man Gift nehmen, um die Wirkung eines Giftes zu bekämpfen!«
»Genau das steht in den Büchern eines arabischen Arztes namens Ibn Sina, den man selbst in Erfurt unter dem Namen Avicenna kennen sollte! Und der lebte bereits vor vierhundert Jahren!«
Wolfhart hob die Augenbrauen. »Der Name Avicenna sagt mir durchaus etwas, wenngleich ich zugeben muss, dass mir nur eine Abschrift eines kleineren Werkes aus seiner Feder in griechischer Übersetzung vor die Augen gekommen ist. Solche Ansichten, wie Ihr sie jetzt vertretet, habe ich darin allerdings nie gefunden.«
»Diese Abschrift dort war sicherlich eine Fälschung! Eine entschärfte Fassung des Originals«, glaubte Cagliari. »Aber wie auch immer, es ist wahr, und ich bin nicht der erste Arzt, der diese Methode angewendet hat.«
»Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, Meister Cagliari.«
»Es reicht nicht, die Dinge zu erkennen, Wolfhart. Man muss sie beherrschen!«
»Und das gilt auch für den Schwarzen Tod?«
»Gerade für ihn! Wer die Macht hat, eine Epidemie ausbrechen zu lassen, kann sie auch verhindern.«
»Nur Gott hätte diese Macht.«
Cagliari lächelte hintergründig. »Nur Gott? Nicht womöglich auch sein Widerpart?«
Wolfhart war zu müde, um sich auf einen Disput über theologische Fragen mit Cagliari einzulassen. Er unterdrückte ein Gähnen. Ihm fiel gerade noch ein, den Medicus nach der Aufgabe zu fragen, die Lazaros und die anderen Gehilfen in ein nahegelegenes Verlies geführt hatte.
»Gibt es dort zurzeit einen Gefangenen, Meister Cagliari?«
»Wie kommt Ihr darauf?«
»Als ich zum ersten Mal mit Euch hier herabgestiegen war, hatte ich Schreie gehört. Schreie, die nicht alle nur von dem unglücklichen Gehilfen stammten, der die Pest bekommen hatte.«
Cagliari zögerte. »Ihr habt Recht. Es ist erstaunlich, wie laut ein Schrei in den Zisternengewölben dieser Unterwelt sein kann.«
»So trifft meine Vermutung zu?«
»Der Gefangene lebt nicht mehr. Er starb – allerdings nicht an der Pest, wie es meiner Erkenntnissuche förderlich gewesen wäre, sondern an den Folgen der Folterungen, die man ihm angetan hatte. Meine Gehilfen hatten nun die Aufgabe, das Verlies von dem zu reinigen, was er hinterlassen hatte.«
»Wisst Ihr, was man ihm vorgeworfen hatte, um ihn einer derartigen Behandlung zuzuführen?«
»Er soll ein Hochverräter gewesen sein und in Verbindung mit den Türken gestanden haben. Sein Name war Andreas Lakonidas. Vielleicht habt Ihr schon von ihm gehört.«
»Warum sollte ich?«, wich Wolfhart aus.
Meister Cagliari zuckte die Schultern und streifte sich sein Hemd ab, da es selbstverständlich auch bei ihm vollkommen durchnässt war. »Er war zudem ein stadtbekannter Dokumentenfälscher – und Ausländer wie Ihr sind auf die Dienste solcher Leute häufig angewiesen.« Ein breites Lächeln spielte nun um seine Lippen. »Mir ist das zu Anfang nicht anders gegangen.«
Wolfharts Blick fiel auf ein Zeichen, das in Meister Cagliaris Schulter eingebrannt war. Im ersten Moment hatte Wolfhart es für eine der vielen Narben gehalten, die der Medicus bei seinen so zahlreichen und nicht immer ganz geglückten Experimenten davongetragen hatte. Aber dann erkannte er, dass es etwas anderes war.
Das Zeichen zeigte eindeutig die miteinander verwobenen Buchstaben Lambda und Rho – übereinandergeschrieben wie eine schaurige, geheimnisvolle Analogie zum Chi-Rho der Christen.
Lucifuge Rofocale!, durchfuhr es Wolfhart, und er erschrak bis ins Mark, als er sich dessen bewusst wurde.
Neunzehntes Kapitel
Erste Donnerschläge
Nahezu alles, was in der Gemeinde der Genueser von Konstantinopel Rang und Namen hatte, folgte dem großen Bartolomeo Maldini auf seinem letzten Weg. Aufgebahrt lag er in der Kapelle des heiligen Paulus in Pera, wo der unverwüstliche Pater Matteo da Creto die Messe für ihn las. Dies hatte sich Bartolomeo Maldini ausdrücklich gewünscht, bevor er in eine bessere Welt hinüberdämmerte. Der Sprecher der Genueser Kaufleute hatte Pater Matteo immer sehr geschätzt, und vor allem war er – wie viele andere auch – davon überzeugt, dass er wirklich gesegnet sein müsse. Schließlich hatte er die Pest durchlitten und überlebt. Könnte es ein besseres Zeugnis für die Macht des Glaubens geben?
Maria trug ein tiefschwarzes Kleid, das mit Brokat besetzt war. Ihr Haar war durch einen Schleier verdeckt. Selbst Marco hatte sich in sein Festwams gezwängt und sich für seine Verhältnisse ordentlich
Weitere Kostenlose Bücher