Medicus von Konstantinopel
des Portals emporgeschritten war, zögerte er noch einmal einen Augenblick, ehe er dann den schweren Messingring gegen das Türholz schlug.
Wolfhart schluckte schwer bei dem Gedanken daran, wie man ihn wohl empfangen würde.
Ein hagerer Mann in mittleren Jahren öffnete die Tür. Er trug eine blaue Livree und sah Wolfhart mit einem ungläubigen Stirnrunzeln an.
»Ja, schaut nicht so, Joop von Großwörden!«, rief Wolfhart. »Ich bin es wirklich! Wolfhart Brookinger! Erkennt Ihr mich denn nicht?«
Joop von Großwörden war der Hausverwalter der Brookingers. Der Namenszusatz »von Großwörden« war dabei keineswegs ein Adelstitel, sondern bezog sich lediglich auf das Dorf, aus dem Joop stammte. Die Gewohnheit, Familiennamen zu führen, hatte sich zwar in den Städten schon sehr verbreitet, war aber gerade in den niederdeutschen Dörfern oft noch eher die Ausnahme.
»Wolfhart!«, stieß Joop hervor.
»Anscheinend habe ich mich mehr verändert, als ich es umgekehrt von Euch sagen kann, Joop!«
Joop musterte Wolfhart von oben bis unten. »Nun, ich kann mich noch daran erinnern, wie Ihr die Stadt verlassen habt, um in Erfurt Euren Studien nachzugehen – derart elende Kleider, wie Ihr heute tragt, hatte Euer Vater Euch nicht mitgegeben!«
Joop kannte Wolfhart seit seinem zehnten Lebensjahr, und deshalb konnte er es sich erlauben, so mit dem jungen Brookinger zu sprechen. Im Übrigen war Joop von Großwörden ohnedies dafür bekannt, dass er sein Herz auf der Zunge zu tragen pflegte und im Allgemeinen sehr direkt sagte, was er dachte. Genau diese Eigenschaft schätzte auch Wolfharts Vater an ihm. »Eure Eltern werden sich freuen, dass Ihr endlich wieder den Weg zurück nach Lübeck gefunden habt! Die Nachrichten, die Ihr ihnen habt zukommen lassen, waren ja schließlich nicht gerade zahlreich.«
»Ich weiß«, gab Wolfhart etwas kleinlaut zu.
»Ihr habt Glück. Euer Vater ist erst gestern von einer Reise nach Antwerpen zurückgekehrt, sodass Ihr heute beide Eltern antrefft! Wie ich gehört habe, hat er gute Geschäfte machen können …«
»Stockfisch dürfte sich überall verkaufen lassen, wo Ostern gefeiert wird oder wo es Seefahrer gibt, die auf gut haltbaren Proviant angewiesen sind.«
»Na, wenigstens das habt Ihr nicht vergessen, Wolfhart!« Joop bedachte den jungen Mann mit einem nachdenklichen Blick und rümpfte die Nase. »Ich sage es geradeheraus: Ihr braucht so schnell wie möglich einen Bader, der nicht an Seife spart und sich darüber hinaus auch darauf versteht, Euch den Bart so zurechtzustutzen, dass Ihr nicht wie ein Mannwolf ausseht!«
Wolfhart fasste sich an das dicht bewachsene Kinn. »Ist es so schlimm?«
Joop von Großwörden seufzte hörbar.
»Schlimm genug, um Euren Eltern peinlich zu sein, wenn man Euch so in der Öffentlichkeit sieht!«
»Wo sind sie? Im großen Zimmer?«
Wolfhart ging durch die Eingangshalle, geradewegs auf die Tür zu, die zum sogenannten »großen Zimmer« führte. Wolfhart hatte die Tür mit wenigen Schritten erreicht und Joop hinter sich gelassen. »So wartet!«, rief der Verwalter ihm hinterher – aber sollte er sich wie ein Gast verhalten? Auch wenn er lange fort gewesen war, dies war nach wie vor sein Elternhaus, der Ort, an dem er zu Hause war. Ungestümer, als er beabsichtigt hatte, riss er die Tür auf, blieb dann jedoch wie angewurzelt stehen. Licht flutete durch die hohen Fenster aus venezianischem Glas. Die Brookingers waren hier in Lübeck schon lange ihrer Zeit voraus. Während die Fenster des Rathauses noch mit Alabaster versehen waren, um die Zugluft abzumildern und trotzdem gleichzeitig das Tageslicht hereinzulassen, gehörte das Haus der Kaufleute zu den ersten Gebäuden in Lübeck, deren Fenster vollständig verglast waren. Nun blickte Wolfhart auf die vom gleißenden Licht der tiefstehenden Sonne angestrahlte Gestalt, die dadurch etwas Traumhaftes, Unwirkliches bekam.
Wolfhart nahm die Lederkappe vom Kopf und strich sich das viel zu lang gewordene dunkelblonde Haar zurück. Es war seine Mutter, die ihm gegenüberstand und auf die er nun mit freudiger Erwartung schaute. Sie war eine Frau in mittleren Jahren und verkörperte den ganzen Stolz ihres Patrizierstandes. Das Kleid war aus schwerem Brokat, die Taille sehr eng geschnürt. Ihr brünettes Haar trug sie in einer kunstvollen Frisur. Um den Eindruck einer hohen Stirn zu verstärken, war der Haaransatz ausrasiert, so wie es unter den vornehmeren Frauen üblich war. Eine Brosche mit einem
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