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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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inzwischen aber auch unter der patrizischen Kaufmannschaft der Städte immer größerer Beliebtheit erfreute, wenngleich dort kaum einer damit wirklich zu kämpfen wusste. Das Langmesser war eigentlich für jemanden wie Wolfhart nicht standesgemäß. Eine Bauernwaffe, die sich von einem richtigen Schwert vor allem dadurch unterschied, dass die Klinge nur eine Schneide haben durfte. Zweischneidige Waffen waren – gleichgültig in welcher Länge – den höheren Ständen vorbehalten. Das einzige etwas edlere Kleidungsstück, das Wolfhart Brookinger trug, war die Lederkappe auf seinem Kopf. Zwar fehlte ihr jeglicher Federschmuck, und davon abgesehen zeigte sie auch Spuren starker Beanspruchung, aber immerhin war sie von gediegener Verarbeitung. Ergiebige Regengüsse hatten an ihr allerdings ebenso ihre Spuren in Form dunkler Flecken hinterlassen wie die bleichende Kraft der Sonne. Doch jeder, der diese Mütze aus der Nähe betrachtete und nur ein wenig davon verstand, konnte ihr die gute Verarbeitung und das hochwertige Material ansehen. Wer noch genauer hinsah, bemerkte vielleicht sogar ein eingearbeitetes, verschnörkeltes B – das weit über Lübeck hinaus bekannte Zeichen der Familie Brookinger. Allein diese Mütze brachte Wolfhart aus der Fremde wieder zurück in die Stadt seine Vorväter. Von allem anderen hatte er sich nach und nach getrennt, um es zu Geld zu machen, bei dieser Mütze hatte er das einfach nicht übers Herz gebracht. Überdies war sie irgendwann ohnehin nicht mehr in einem Zustand, der es möglich erscheinen ließ, mit dieser Mütze mehr als nur ein paar Kupfermünzen zu erzielen.
    Wolfhart drängte sich durch das Getümmel auf den Straßen. Marktschreier boten Stockfisch feil – getrockneten Kabeljau, der von den Bergenfahrern in die lübischen Häfen gebracht und entladen wurde. Von Lübeck aus fand dieser lange haltbare Fisch seinen Weg bis nach Italien, wo gerade in der Fastenzeit vor Ostern immer ein großer Bedarf daran herrschte. Mit Stockfisch hatte auch das Handelshaus Brookinger stets den größten Teil seiner Einnahmen verdient. Das Geschäft mit diesem lange haltbaren, fast unverderblichen Nahrungsmittel war so sicher wie sonst kaum ein anderes Gewerbe. Auf jeder etwas längeren Seereise war Stockfisch für die Verpflegung sowieso unverzichtbar. Gaukler führten ihre Kunststücke vor. Ein Kutscher verlangte lautstark, dass man Platz für ihn machte. In all dem Trubel sichtete Wolfhart plötzlich Jan-Jacob Lodarsen, ein Mitglied der ehrenwerten Bruderschaft der Rigafahrer. Wolfhart war Lodarsen ehedem oft im elterlichen Haus begegnet. Er kannte den Mann mit dem zeitig erblichenen Haar und dem gelblichen Spitzbart seit frühester Kindheit. Lodarsens Blick blieb eine Weile an Wolfhart haften, wobei sich eine tiefe Falte auf der Stirn des Rigafahrers bildete. Es sah fast so aus, als würde er darüber nachdenken müssen, ob er den jungen Mann in abgerissener Kleidung nicht irgendwoher kannte. So stark hatte sich Wolfhart Brookinger doch nicht verändert! Zumindest dachte Wolfhart das. Lodarsen griff zu seiner Nürnberger Brille und hielt sich die beiden durch einen Metallbügel miteinander verbundenen geschliffenen Gläser vor die Augen. Die Brille hatte dazu eigens einen recht stabilen Griff an der Seite.
    Alsbald verdeckte ein hoher, völlig mit Stoffballen überladener Wagen die Sicht des Rigafahrers, und Wolfhart nutzte die Gelegenheit und machte ein paar schnelle Schritte, um für Lodarsen zunächst hinter dem Wagen verborgen zu bleiben. An der nächsten Straßenecke blieb Wolfhart noch einmal stehen und spähte vorsichtig zurück.
    Jan-Jacob Lodarsen stand noch immer da, ließ suchend den Blick schweifen und wirkte zunehmend verwirrt.
    Vielleicht war es wirklich besser, dass er den jungen Kaufmannssohn nicht erkannt hatte. Schließlich kam Wolfhart, der Sohn des angesehenen Ältermanns Adam Brookinger, in einem schäbigen Gewand in die Stadt seiner Väter zurück, zerrissen und zerlumpt wie ein verlorener Sohn, der mit viel Geld gegangen und als geflohener Schweinehirt zurückgekehrt war.
    Aber diesen Gedanken verscheuchte er sofort wieder. War all das nicht irdischer Tand, auf den es gar nicht ankam? Wie bedeutungslos mutete jedweder Besitz an, den ein Mensch in seinem Leben anhäufen konnte, im Angesicht des tausendfachen Todes und des unsäglichen Leides, das man überall beobachten konnte. Gott schien prüfen zu wollen, wie viel die menschliche Seele ertragen konnte! Wie

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