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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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Gerichts anzukündigen. Für einige Augenblicke war kein Laut zu hören. Die Angreifer waren wie erstarrt, und auch Maria wagte kaum zu atmen.
    Im Dunkel auf der anderen Straßenseite war das Schnauben von Pferden zu hören – und das Flüstern eines Mannes, der sie beruhigte. Der geheimnisvolle Schatten war also nicht allein.
    »Flieht vor dem Dämon der Krankheit«, sagte der Schatten eindringlich, und seine Stimme hatte dabei ein vibrierendes Timbre, das durch die Fremdartigkeit seiner Aussprache noch zusätzlich verstärkt wurde. Da kam es Maria schlagartig in den Sinn, wo sie diese Art zu sprechen schon einmal gehört hatte – auch wenn es ganz sicher nicht dieselbe Stimme gewesen war: Damals, in ihrer Zeit in Genua, als sie von Hauslehrern unterrichtet worden war und darin unterwiesen wurde, das griechische Neue Testament zu lesen, war Maria einem Pater begegnet, dessen Art zu sprechen sehr ähnlich geklungen hatte. Maria – die natürlich aus ihrer frühen Kindheit das Griechisch der Straße kannte, hatte es sich sogar ein einziges Mal erlaubt, diesen Lehrer zu verbessern. An die Strafe erinnerte sie sich noch heute. Er hatte ihr auferlegt, in einer kalten Kapelle hundert Rosenkränze kniend zu beten – schließlich war Überheblichkeit eine Sünde. Eitle Selbstüberschätzung, die Hybris, durfte nicht geduldet werden, ganz gleich, ob gegenüber Gott oder nur einem seiner geweihten Diener.
    Es ist jenes Griechisch, wie es die Gelehrten sprechen!, durchfuhr es Maria. Aber gerade das gab der Erscheinung dieses Schattens obendrein eine sehr eindrucksvolle Note.
    Die Gestalt streckte die Hand aus und deutete auf Maria und den regungslos daliegenden Davide, um hiernach weiter die Stimme anzuheben und die umstehenden Männer anzusprechen: »Flieht, denn selbst die Toten atmen den bösen Hauch der Pestilenz aus, der krank macht und mit dem Gott euer Leben auf die Probe stellen wird – denn nur die, die ohne Sünde sind, werden dem Gericht entgehen!«
    »Los, weg hier!«, schrie sogleich einer der Angreifer und raste die Straße entlang, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Für die anderen war das anscheinend die Losung gewesen, auf die sie gewartet hatten: So schnell sich die Angreifer zuvor zusammengerottet und formiert hatten, so rasch suchten sie jetzt das Weite. Sie wagten noch nicht einmal mehr, die Münzen aufzuheben, die Maria ihnen vor die Füße geworfen hatte – haftete das Übel denn nicht auch den sündhaften Edelmetallen an?
    Nur der Mann ohne Nase wollte es nicht damit bewenden lassen. »Bleibt hier, ihr Elenden!«, rief er den Davoneilenden hinterher. »Ihr werdet es alle bitter bereuen!«
    Allerdings hatte er angesichts des drohenden Dämons keine Macht mehr über das Gesindel.
    So hob er das Schwert vom Boden auf, das Davide einem der Angreifer aus der Hand geschlagen hatte. Er schwang die Klinge und stieß dabei einen röchelnden Schrei aus – einen Laut, der mehr von einem wilden Tier als von einem menschlichen Geschöpf zu kommen schien. Ungestüm stürzte er sich auf Maria – offenbar bedingungslos dazu entschlossen, sie zu töten.
    Maria riss unterdessen Davides Schwert an sich.
    Während die Klinge des Nasenlosen auf sie herabsauste, hielt sie mit Davides Schwert, so heftig sie konnte, dagegen, den Griff mit beiden Händen umfasst. Die Klingen prallten klirrend aufeinander. Maria stieß einen Schrei aus. Die Klinge des Nasenlosen glitt zur Seite. Durch die Wucht seines eigenen Schlages verlor er fast das Gleichgewicht, er taumelte und wollte erneut angreifen. Doch Maria war inzwischen auf die Füße gekommen und richtete die Spitze ihrer Waffe auf ihren Gegner.
    Das erste und bislang einzige Mal, dass sie ein Schwert in der Hand gehalten hatte, war schon viele Jahre her. Ihr Großvater hatte damals noch gelebt und dem kleinen Mädchen erlaubt, einmal den Griff jener Waffe zu umfassen, mit der vor Generationen Niccolò Andrea, der legendäre Begründer des Hauses di Lorenzo, gegen die lateinischen Besetzer der Stadt ins Feld gezogen war und sich damit seine späteren Privilegien verdient hatte. Die Waffe hatte ihr Großvater festhalten müssen, so schwer war sie gewesen.
    An genau diesen Augenblick damals musste sie jetzt denken, als sie dem Nasenlosen gegenüberstand. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn. Ihre Haare waren wirr und zerzaust. Schmutz und ihr eigenes Blut waren ihr ins Gesicht geraten. Mit weit aufgerissenen Augen stand sie da wie eine vom Fieberwahn gezeichnete

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