Medicus von Konstantinopel
schützte – und durch die Außentür, die ebenfalls etwa einen halben Schritt weit offen stand. Das Licht, das durch das Fenster hereinfiel, traf genau auf seine Schultern und ließ ihn fast wie eine von hinten illuminierte Heiligenfigur erscheinen, wie sie so oft auf den in Konstantinopel so beliebten Ikonen abgebildet wurde. Nur der stoppelige Bart, der Wolfhart während seiner Reise gewachsen war, kam ihr noch nicht lang genug vor, um mit den dargestellten Heiligen mithalten zu können. Bei diesem Gedanken musste Maria schmunzeln, und sie erwiderte seinen Blick.
»Eurem Lächeln nach scheint zumindest Ihr keine Furcht zu empfinden«, sagte Wolfhart.
»Nein, allerdings ist das nur dem Umstand geschuldet, dass ich etwas durcheinander bin, wie ich zugeben muss.«
»Bei allem, was wir tun, ist die Furcht unser größter Feind. Ich versuche, sie keine Herrschaft über mich gewinnen zu lassen.«
»Dazu haben nicht viele die Kraft.«
»Ob ich sie habe, wird sich noch erweisen müssen.«
»Ihr habt davon gesprochen, dass Ihr Fausto Cagliari begegnen wollt.«
»Er soll hier in Konstantinopel sein, aber ich gebe zu, dass meine Informationen darüber schon etwas älter sind.«
»Ich erwähnte ja bereits, dass er mir begegnet ist, und ich wüsste eine Gelegenheit, bei der Ihr ihn vielleicht treffen könntet, obwohl ich Euch nichts versprechen kann.«
»Ich bin für jede Chance, die mir das Schicksal bietet, dankbar.«
»Da geht es mir wie Euch«, murmelte sie, und ihre Stimme war nur noch ein kaum hörbares Flüstern. Sie waren sich jetzt so nahe, dass kaum noch ein Fingerbreit zwischen ihnen war. Als junges Mädchen hatte sie erlebt, wie im Hafen von Pera ein Schiff in Flammen aufgegangen war, das einige Fässer mit Schwarzpulver geladen hatte. Es war eine mondlose Nacht gewesen, und die Männer an Bord hatten wohl zu sorglos mit ihren Fackeln und Laternen hantiert, sodass es schließlich zu einer gewaltigen Explosion gekommen war. Das Inferno hatte man vom Obergeschoss ihres Elternhauses sehen können. An diesen Moment musste Maria jetzt denken. Noch einen Fingerbreit näher und es drohte auch hier, zwischen ihnen, ein Funke mit völlig unabsehbaren Folgen überzuspringen! Doch womöglich war es auch schon zu spät … Sie spürte schon seine Lippen auf den ihren, und sie schlang ihre Arme um Wolfharts Nacken. Ihr Herz raste, und sie glaubte auch das seine mit der Wucht eines Schmiedehammers schlagen zu hören. In diesen seligen Sekunden hatte Maria das Gefühl, alles um sie herum mit einer nie dagewesenen Deutlichkeit und Intensität wahrzunehmen.
Sie lösten sich voneinander. Sie war sich nicht einmal darüber im Klaren, ob sie sich von ihm losriss oder er sie von sich stieß. Was hast du da eigentlich getan?, ging es ihr durch den Kopf, in dem sich alles zu drehen schien. Die Gedanken rasten nur so, und Maria rang nach Luft. Sie wich einen Schritt zurück, blieb aber bei der halb offenen Tür des kleinen Verschlags stehen.
»Ihr müsst mir verzeihen«, hauchte sie.
»Nein, dazu gibt es nicht den geringsten Grund – ich hoffe, dass Ihr mir verzeiht«, sagte Wolfhart weich. Als sie ihn hierauf wieder ansah, registrierte Maria, dass er ebenfalls einen verwirrten Eindruck machte. Zunächst hatte Maria es gar nicht gewagt, den Blick wieder zu heben und dem seinen zu begegnen. Vielleicht, weil sie fürchtete, darin Ablehnung oder Entsetzen zu erkennen. Doch das Gegenteil war der Fall! Der Blick, mit dem er sie bedachte, war voller Zuneigung und Verlangen, aber es war eine Art von Verlangen, die sie nicht ängstigte, sondern anzog und erwidern konnte. Nachdem ihre Blicke sich endgültig wiedergefunden hatten, konnte sie sich nicht mehr von ihm abwenden. Sie wollte noch etwas sagen, öffnete halb den Mund, doch kein einziger Laut kam daraus hervor. Sie schluckte nur und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrer Frisur herausgestohlen hatte. Erst nach einer gefühlten Unendlichkeit gelang es ihr, die Sprache wiederzuerlangen und sinnvolle Worte zu formen.
»Ich wollte Euch eigentlich nur sagen, dass der Kaiser am Sonntag in die Hagia Sophia kommt und sich dann alle höheren Stände dort versammeln und ihm die Ehre erweisen, wenn der Patriarch ihn segnet. Das gilt auch für die in der Stadt lebenden Fremden, selbst wenn sie dem lateinischen Glauben angehören. Offiziell haben wir ja seit Jahren eine Kirchenunion, auch wenn es immer wieder vorkommt, dass Fanatiker auftauchen und ein Ereignis von
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