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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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zwei Gardisten durch das Kirchenschiff hinausgeschleift. Sein herabhängender Schädel war durch einen Schwertstreich gespalten worden. Blut und Hirn quollen daraus hervor und besudelten den Boden. Maria sah ihnen nach, während das Stimmengewirr in der Hagia Sophia fast völlig verstummte, um dann erneut in bisher nicht gekannter Intensität und Lautstärke aufzubrausen.
    Maria schlug das Herz bis zum Hals. Der Lärm war ohrenbetäubend. Der Gesang der gequälten Seelen in der Hölle konnte nicht stärker in den Ohren schmerzen als dieser Lärm.
    Es dauerte lange, bis sich der Lärm etwas legte. Der blutüberströmte Patriarch wurde ebenfalls hinausgetragen. Vier Gardisten waren bei ihm, außerdem einige Mönchsbrüder.
    Nur Athanasius Synkellos sah Maria nicht in der Nähe seines Patriarchen. Er scheint das Attentat überlebt zu haben!, dachte Maria. Und das wiederum gab zu der Hoffnung Anlass, dass sich die Folgen des Anschlags in Grenzen hielten.
    »Warum hat man diesen mörderischen Schweinehund gleich umgebracht?«, konnte Maria Thomás’ Worte hören. Er schrie sie Davide beinahe in die Ohren, denn er fürchtete wohl, sonst nicht verstanden zu werden.
    »Was hätte man denn Eurer Meinung nach tun sollen, Thomás?«, fragte Davide.
    »Ihn befragen! Und einen so leichten Tod hat jemand, der einen Kirchenmann angreift, ohnehin nicht verdient!«
    »Ihn befragen?« Davide lachte rau. »Glaubt Ihr wirklich, irgendjemand von denen, die in dieser Stadt das Sagen haben, wäre an den Antworten überhaupt interessiert? Im Gegenteil! Sie müssten sie vielleicht sogar fürchten …«
    »Aber so werden wir nie erfahren, wer hinter diesem perfiden Anschlag steckt!«
    »Vielleicht ist das nur für Narren wie uns noch ein Geheimnis, Thomás!«, meinte Davide düster. Der Lärm schwoll wieder etwas an, und Maria konnte seine Worte nur deswegen verstehen, weil sie an seinen Lippen ablesen konnte, was er sagte.

Zehntes Kapitel

    Ein Augenblick des Vergessens
    Am nächsten Tag herrschte große Unruhe in der Stadt. Soldaten patrouillierten durch die Straßen, und es war zeitweilig untersagt, die Häuser zu verlassen. Märkte wurden abgesagt. Jede Art der Versammlung war auf die Dauer einer Woche untersagt.
    Maria saß in ihrem Zimmer über den Geschäftsbüchern des Hauses di Lorenzo. Die Kunst der doppelten Buchführung hatte sie von ihrem Vater gelernt. In Venedig, Florenz oder Genua war sie längst üblich. Luca di Lorenzo hatte darauf bestanden, dass sowohl Marco als auch Maria darin unterrichtet wurden, denn dies sei das Handwerkszeug ehrbarer Kaufleute.
    Es klopfte an ihrer Tür.
    Dass sie keine standesgemäßen Wohnräume mehr zur Verfügung hatte, sondern sich mit den behelfsmäßigen Möglichkeiten im Kontor bescheiden musste, ärgerte sie schon seit längerem. Hier konnte man weder Gäste von gesellschaftlichem Rang empfangen noch Feste ausrichten, was eigentlich stillschweigend von den Inhabern des Hauses di Lorenzo erwartet wurde. Man konnte auf Dauer nicht Gast anderer sein und selbst keine vergleichbaren Anlässe mehr ausrichten. Zudem war es sowohl dem Seelenheil als auch dem Ansehen auf Erden überaus zuträglich, bei diesen Gelegenheiten die Armen zu speisen, wie man es auch von guten Herrschern erwartete – wenngleich diese Tradition wohl im Westen etwas stärker ausgeprägt war als im Osten, namentlich in Konstantinopel. Aber das lag vielleicht auch daran, dass man traditionell in den Ländern des Westens und Nordens an mehr Armut gewöhnt war, während Konstantinopel trotz seines nun schon so lange anhaltenden Verfalls immer noch von Slawen und Türken als die »Stadt der Reichen« bezeichnet wurde.
    Aber Maria war gewillt, diesen unbefriedigenden Zustand zu ändern, sobald es möglich war. Immerhin gab es nun schon seit längerem keine Pest mehr in Pera, und es war offiziell wieder erlaubt, die ausgeräucherten Häuser zu bewohnen, denn man nahm an, dass sich das böse Miasma durch das sengende Feuer und den beißenden Rauch in der Zwischenzeit verflüchtigt hatte. Man konnte also daran denken, das Elternhaus wieder instand zu setzen. Die steinernen Mauern hatte das Feuer schließlich nur mit einer dicken Schicht aus Ruß überziehen, aber nicht vernichten können, wenngleich Fenster, Dachstuhl und die Inneneinrichtung gewiss nicht mehr verwendbar waren.
    Maria war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie das erste Klopfen nur wie aus weiter Ferne gehört hatte. Beim wiederholten Klopfen zuckte sie nun

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