Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
Vom Netzwerk:
nirgendwo sonst in der christlichen Welt hätte vorstellen können. Mit huldvollem, ernstem Gesicht blickte Konstantin XI. in das Hauptschiff der Hagia Sophia. Abgesehen von den seitlichen Säulengängen wurde dieses von vier muschelförmigen Ausbuchtungen umgeben, den sogenannten Konchen. Die Kathedrale diente jetzt dem Kaiser, um einerseits seine Erhabenheit zu zeigen, andererseits aber auch die Nähe zum Volk zu demonstrieren. Schließlich war, seitdem das Hippodrom nicht mehr als Versammlungsort zu benutzen und völlig verfallen war, die Hagia Sophia der einzige Ort, an dem Kaiser und Volk sich begegneten und sich gegenseitig ihrer Pflichten erinnern konnten.
    Maria musste wie so oft an ihren Vater denken, der ihr bei ihrem ersten Besuch in der Hagia Sophia eine Legende erzählt hatte. Danach sei Kaiser Justinian kurz nach Fertigstellung des Bauwerks mit seinem Triumphwagen in die Kirche eingefahren und habe ausgerufen: »Salomo, ich habe dich übertroffen!«
    Vom Tempel des Salomo in Jerusalem war nichts geblieben.
    Dass die Hagia Sophia dieses Schicksal eines Tages teilen sollte, erschien angesichts ihrer Gewaltigkeit vollkommen ausgeschlossen.
    Die Glocken verstummten unterdessen. Eine Orgel erklang, die erste Orgel im Übrigen, die jemals in eine Kathedrale hineingebaut worden war – eine Mode, die sich inzwischen in den anderen Länder der Christenheit zu verbreiten begann. Dass sie ausgerechnet hier ihren Anfang genommen hatte, war eine gewisse Ironie. Schließlich war nach Auffassung der Ostkirche Musik innerhalb eines Gottesdienstes nur in Form von Gesang statthaft, denn der Gesang war ein Gebet. Musik, die durch Instrumente erzeugt wurde und daher ohne Wort war, jedoch nicht. Aber die Haltung in dieser Frage schien im Klerus Konstantinopels so schwankend zu sein wie in der Frage der Kirchenunion, von der man eigentlich meinen sollte, dass sie vor mehr als zehn Jahren in Ferrara beschlossen worden war.
    Gesänge von tiefen Mönchsstimmen erfüllten nun den Raum und hallten zwischen den gewaltigen Mauern vielfach wider. Der Geruch von Weihrauch verbreitete sich, und Patriarch Gregor III. Mammas zog mit seinem Gefolge durch den Gang des Mittelschiffs. Im Gegensatz zu den Messen, wie Maria sie aus der römischen Kirche kannte, wirkte dieser Ritus stets etwas düster auf sie. Er verbreitete einen besonderen Ernst. Aber seit dem Pesttod ihrer Eltern fand sie diesen Ernst durchaus angemessen und hatte festgestellt, dass sie innerlich davon sehr viel stärker berührt wurde, als dies vorher der Fall gewesen war.
    Der Patriarch trat vor den Altar, kniete nieder. Sein Gefolge blieb zurück. Darunter entdeckte Maria auch Athanasius Synkellos, den Sekretär und designierten Nachfolger des Kirchenoberhaupts. Er wirkte unruhig. Unruhiger zumindest, als es Maria für den sakralen Ernst der Zeremonie angemessen erschien.
    Plötzlich durchdrang ein heiserer Schrei die eher tiefen Klänge von Orgel und Mönchsgesang wie ein scharfes Messer.
    Ein Mann stürzte nach vorn – bärtig und gekleidet in die dunkle Kutte eines Mönchs. In seiner Hand glänzte etwas Metallisches: die Klinge eines Dolchs.
    Der Mann stürzte sich mit dem Ruf »Keine Einheit mit den römischen Ketzern!« auf den Patriarchen und stieß ihm den Dolch in den Rücken.
    Der Gesang brach ab. Das Orgelspiel verstummte. Bewaffnete Gardisten rannten ebenso herbei wie Männer aus dem Gefolge des Patriarchen. Der Attentäter war innerhalb von Augenblicken an Händen und Füßen gepackt. Er konnte gerade noch daran gehindert werden, ein weiteres Mal mit dem Dolch zuzustoßen. Blut floss. Blut, das offenbar nicht nur von dem vor dem Altar zusammengebrochenen Patriarchen stammte, sondern auch von Verletzungen derjenigen, die den Attentäter überwältigt hatten.
    Der Mann wehrte sich immer noch mit aller Kraft. Klirrend fiel endlich der Dolch auf den Steinboden. »Keine Einheit mit den Ketzern!«, rief er immer wieder. »Verräter am rechten Glauben führen unsere heilige Kirche! Aber Gott sieht es! Und er wird es nicht ungestraft lassen!«
    Ein Pulk von Menschen hatte sich sowohl um den Attentäter als auch um den vom Dolch getroffenen Patriarchen Gregor III. gebildet. Maria war wie fast alle anderen Besucher der Hagia Sophia von ihrem Platz aufgesprungen. Zu sehen war so gut wie nichts. Ein lautes Stimmengewirr setzte ein, das durch das Echo innerhalb der dicken Mauern noch um ein Vielfaches verstärkt wurde. Dann ertönte ein Schrei. Der Attentäter wurde von

Weitere Kostenlose Bücher