Medienmuendig
Hintergrund. Was Kinder stark macht, ist sozusagen Allround-Prävention: Starke Persönlichkeiten sind weniger anfällig für Krankheiten inklusive Suchterkrankungen wie Alkoholismus, Drogensucht, Medikamentenmissbrauch
und
Rauchen gleichermaßen und sie haben seltener Schul- und Gewaltprobleme. Und sie werden aller Voraussicht nach auch vor Medienabhängigkeit besser geschützt sein.
Was folgt daraus für die Vorbeugung gegen Mediensucht?
Inzwischen gibt es für Medienabhängige ein Netzwerk an Beratungs- und Therapieeinrichtungen, 87 das weiter auszubauen der Fachverband Medienabhängigkeit fordert. Aber damit ist esnicht getan: Denken Sie noch einmal an das Beispiel Diabetes ganz zu Anfang dieses Kapitels. Vorrangiges Ziel sollte, gerade bei eindeutig »menschengemachten« Problemen und Erkrankungen, ein Ansetzen an den Wurzeln des Übels sein, also ein Schwerpunkt auf der Vorbeugung, nicht auf der Therapie.
Und mit der Vorbeugung gegen Mediensucht kann jeder bei sich selbst anfangen. Jeder Erwachsene kann selbst ein Gespür für das Suchtpotential entwickeln, das die Beschäftigung mit den verschiedenen Medien für ihn hat. Beobachten Sie sich selbst! Eine wichtige Frage könnte in diesem Zusammenhang lauten: Wie groß ist der Anteil dessen, was
von außen
zugeführt wird, um Ihnen ein Gefühl von Zufriedenheit zu verschaffen, wie groß ist der Anteil, den Sie durch eigene schöpferische Leistung oder eigene körperliche Anstrengung hervorbringen, also
von innen
dazugeben müssen? Eine zweite wichtige und mit der ersten zusammenhängende Frage müsste lauten: Wie ist Ihr Lebensgefühl nach dem »Konsum«?
Da kann es ja große Unterschiede zwischen den Individuen geben. Dennoch ist es wohl kein Zufall, dass mich bisher kein einziger besorgter Elternteil je gefragt hat, was bei »exzessivem Blockflötenspiel«, »Wasserfarbenmalwahn« oder »Rasenmähsucht« zu tun sei. Exzessives Fernsehen und Computersucht waren dagegen immer wiederkehrende Themen. Es dürfte für Sie im Alltag also gar nicht so schwer sein, auseinanderzuhalten, was Sie eher gesund macht und stärkt und was eher Suchtgefahren in sich birgt.
Wie nun aber vorbeugen bei den Kindern? Die Frage ist ja allein deswegen gerechtfertigt, weil für den Bereich Medien, anders als für Drogen, beim Erwachsenen nicht Abstinenz, sondern kontrollierter Konsum das Ziel sein muss. Es geht sicher ganz ohne Fernsehen, keine Frage, natürlich auch ohne Computer
spiele
, aber nur noch schwer ganz ohne Computer.
Klingt es da nicht verlockend, den Umgang mit Bildschirmmedien schon von früher Kindheit an zu »üben«, in der Hoffnung, dass dadurch der spätere schlechte, suchtartige Umgangverhindert werden könnte? Ja, das klingt verlockend, aber dieser schöne Wunschtraum hält der wissenschaftlichen Überprüfung einfach nicht stand. Je früher Kleinkinder mit dem Fernsehen beginnen, desto stärker protestieren sie bereits als Schulanfänger dagegen, wenn der Apparat ausgeschaltet werden soll. 88 Je mehr Fernsehen Babys und Kleinkinder sehen, desto mehr schauen sie auch als Sechsjährige. 89 Vermutlich empfinden bildschirmgewöhnte Kinder das Ausschalten tatsächlich als schlimmeren Einschnitt, weil sie in der Tendenz unselbständiger spielen und schlechter mit Langeweile umgehen können. 90
Auch die Hoffnung, dass diese »frühe Übung« zwar in der Kindheit zu hohen Nutzungszeiten, aber vielleicht später, im Jugend- oder Erwachsenenalter, doch noch zu reduzierten Bildschirmzeiten führen könnte, erweist sich als nicht zutreffend. Im Gegenteil
,
die frühe Gewöhnung führt im späteren Leben zu höheren Nutzungszeiten, wie eine über 30 Jahre laufende Untersuchung aus Neuseeland zeigt. 91 Warum sollte es beim Computer anders sein? 92 Für ältere Kinder gibt es schon eine zweijährige Längsschnittstudie, die zeigt, dass hohe Nutzungszeiten bei Jugendlichen als Risikofaktor für die Entstehung einer Computerspielabhängigkeit wirken. 93
Abschließend noch einmal zurück zu dem spannenden Konzept der virtuellen Kohärenz. Das wäre eine interessante Deutung für die rasante Zunahme der Computerspielabhängigkeit in Deutschland: Das Online-Rollenspiel böte demnach für sehr viele verschiedene reale Bedürfnisse eine Art virtueller »Schein-Befriedigung« an. Insbesondere für die Männer von morgen gibt es in der Kindheit allzu wenige Möglichkeiten, ihre Bedürfnisse, ihre Lust auf Abenteuer, Gemeinschaft, Nervenkitzel, Erwerb neuer Fähigkeiten, auf
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