Medienmuendig
»Gebrauchtwerden«, auf Herausforderungen zu befriedigen. Das macht die Spiele so attraktiv. Je mehr virtuelle Kohärenz erlebt wird, desto weniger Anreiz verspürt der Spieler, Zeit im realen Leben zu verbringen, und desto stärker leidet das reale Kohärenzgefühl. Dadurch ist wiederdie Suchtneigung verstärkt, und die Spielzeiten nehmen noch mehr zu. Ein Teufelskreis.
Internet und Cyberspace [schwächen] bereits dann, wenn sie für den Benutzer noch gar nicht zur Droge geworden sind, gerade diejenigen Kräfte und Fähigkeiten, die benötigt werden, um dem Süchtigwerden zu widerstehen (vgl. unten meine Liste S. 225).
Diese Überlegungen unterstützen die Ergebnisse der
life skill
training
-Forschung: Widerstandsfähigkeit gegen Sucht erwirbt man im echten Leben. Man erwirbt sie durch menschliche Begegnung und durch unmittelbare und freudige Weltbegegnung. Ein schönes Experiment zur ganz realen Begegnung mit der Natur im Berliner Ferienalltag schildert der Journalist und Vater Andreas Weber, der mit
Lasst sie raus!
im Jahr 2010 den deutschen Journalistenpreis in der Kategorie »Bester Essay« gewonnen hat:
So wie Kinder ihr Modell von Menschlichkeit von jenen übernehmen, die sie lieben, so übernehmen sie von anderen Lebewesen das Gefühl gelingender Lebendigkeit. Andere Wesen, ja selbst Flüsse, Steine und Wolken lehren die Kinder eine Form der Selbsterkenntnis, die sie in einer allein menschengemachten Welt nicht erwerben könnten. 94
Das ist es, was Kinder stark macht gegen Mediensucht: tragfähige reale Beziehungen, Selbstwirksamkeitserlebnisse, Problemlösefähigkeiten, Einfühlungsvermögen, Stressbewältigung, Sinnhaftigkeit. Und all das ist einem kleinen Kind nicht über Medien vermittelbar, sondern nur in der unmittelbaren Begegnung mit anderen Menschen und mit der Natur.
KAPITEL 4
Medienmündig – Schritt für Schritt
Für einen späteren selbstbestimmten, aufrechten Gang durch die Medienwelt ist ein Zusammenspiel von a) Zeit und Spielräumen
ohne Medien
für die Reifung der Persönlichkeit mit b) wohlüberlegter, systematischer Förderung der Fähigkeiten zum Umgang
mit den verschiedenen Medien
in angemessenem Alter vonnöten. Aber ab welchem Alter sollte welches Medium zum Einsatz kommen, wenn man dabei das Ziel einer späteren selbstbestimmten Nutzung im Auge hat?
Die Eltern aus der bereits erwähnten Befragung gaben darauf ganz unterschiedliche Antworten. Das folgende Diagramm zeigt die Durchschnittswerte für zwei Gruppen von Eltern, je nachdem, ob ihre Kinder schon fernsehen oder nicht.
Welches Medium ab welchem Alter?
Dabei fallen zwei Dinge auf: erstens, dass die Eltern sich über die Reihenfolge (zuerst Kassetten, dann Fernsehen, dann Computer) überraschend einig sind. Wenn man zweitens diese Zahlen mit dem tatsächlichen Einstiegsalter in den Familien vergleicht, sieht man, dass sehr viele Kinder früher mit der Mediennutzung anfangen, als die Eltern es eigentlich gutheißen 95 ; drittens, dass erwartungsgemäß die medienkritischen Eltern ein noch späteres Einstiegsalter für sinnvoll halten. Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, eine gut begründete Untermauerung für jenes in der Abbildung zum Ausdruck kommende richtige »Bauchgefühl« zu liefern, das so viele Eltern (glücklicherweise!) haben. Dies geschieht zuerst anhand der Frage, was man in der Medienpädagogik aus den Fehlern der letzten Jahrhunderte lernen kann, und im folgenden Abschnitt geht es dann richtig los mit dem ersten Stockwerk des »Medienmündigkeitsturms«.
Neue Medien für die Bildung? – Dreieinhalb Strohfeuer der Begeisterung
»Unser zentrales und vorherrschendes Ziel ist es, die Welt ins Klassenzimmer zu holen, Zugang zu schaffen zu den Angeboten der besten Lehrer, zur Inspiration der größten Führer und Darstellungen bedeutender Weltereignisse.«
»[…] ein neues Hilfsmittel für die Schulen! Aller vornehmsten Welt-Dinge und Lebensverrichtungen Vorbildung und Benamung. […] Die Lehrenden werden weniger lehren, die Lernenden aber mehr lernen; die Schulen weniger geräuschvolles Treiben, Überdruss, vergebliche Arbeit, aber mehr Muße, Lust und Freude und gründlichen Fortschritt zeigen.«
»Damit holen wir die Welt ins Klassenzimmer, der Unterricht wird lebendiger, und die Aufmerksamkeit der Schüler ist erhöht.«
»Im heutigen Klassenzimmer können die Schüler Augenzeugen von Geschichte in ihrer Entstehung werden, herausragendeWissenschaftler ihrer Zeit erleben […]. Eine
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