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Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Bleckmann
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unüberschaubaren Vielfalt von Alternativen gegenüber: Soll sie überhaupt eine Nähmaschine kaufen, Stoffflicken zum Aufbügeln besorgen, die Kleider zum Flicken bringen, neue Kleider kaufen? Das wäre ein
Systemvergleich
.
    Das Paradebeispiel für den Systemvergleich war bei der Stiftung Warentest die Sache mit den Abflussreinigern. Dabei wurden zunächst verschiedene Abflussreinigungsmittel getestet, und zwar unter anderem in den Bereichen Wirksamkeit, Umweltverträglichkeit und Preis pro Anwendung. Die Produkte nahmen sich bis auf ein paar Ausreißer nach unten nicht viel.An dieser Stelle interessiert nicht, welche Marke schließlich als Testsieger hervorging, sondern es geht um den Systemvergleich: Ein mechanischer Abfluss-Entstopfer, für den ich trotz intensiver Recherchearbeit keinen bekannteren Namen gefunden habe als »Klopümpel«, wurde als Alternative zur Reinigung eines verstopften Abflusses ebenfalls getestet. Die Hausfrauen und -männer unter den Lesern werden vielleicht nicht allzu überrascht sein: Der Klopümpel schnitt
in allen 3 Bereichen
(Wirksamkeit, Umweltverträglichkeit und Preis pro Anwendung) besser ab als irgendeines der getesteten chemischen Abflussreinigungsmittel. Es lohnt sich also, den Systemvergleich zu machen!
    Und nun zur Vorabendserie: Von der amerikanischen Freizeitforscherin, fast könnte man sagen »Muße-Forscherin« 116 , Marina Krcmar kommt ein hochinteressanter Ansatz, in dem sie den Systemvergleich auf den Bereich der Freizeitwissenschaft überträgt. In der Medienwissenschaft ist die sogenannte »uses and gratifications«-Theorie (Nutzen- und Belohnungsansatz) heute verbreitet: Der Mensch, der die Medien nutzt, so die Theorie, entscheidet, wie und wann er Medien einsetzt. Diese Entscheidungen trifft er, je nachdem, welchen Nutzen und welche »Belohnungen« er davon hat. Das kann das Bedürfnis nach Information sein, das durch eine Nachrichtensendung gestillt wird, das Bedürfnis nach sozialer Teilhabe, dem der Mediennutzer durch eine Vorabendserie nachkommt, oder das Bedürfnis nach Ablenkung bei Stress, das durch einen Horrorfilm befriedigt wird.
    Mit den Nutzen- und Belohnungsansätzen soll, vereinfacht gesprochen, die Frage beantwortet werden: »Was macht der Mensch mit den Medien?«, eine Frage, die als Gegenentwurf zu der Frage »Was machen die Medien mit dem Menschen?« im geschichtlichen Ablauf Sinn machte und viele neue Erkenntnisse brachte (vgl. Kapitel 7). Leider verlor man dabei allzu oft die Frage aus den Augen, inwiefern die verschiedenen Medien sich zur Befriedigung dieser Bedürfnisse
eignen
, auch im Vergleichzu Handlungsalternativen ohne Medien. Ein einsamer Mensch, der sich aus dem Bedürfnis nach sozialem Kontakt vor den Fernseher setzt, wird dadurch nicht weniger einsam. Ein Jugendlicher, der sich vor einen Horrorfilm setzt, um sich vom Stress der Prüfungsvorbereitung abzulenken, hat mehr Zeitnot und Lernstress als zuvor. Es würden sich neben Beispielen für
funktionale
, also gelungene Mediennutzung noch viele weitere Beispiele solcher
dysfunktionalen
, also nicht gelungenen Strategien finden lassen, bei denen ein Problem durch Medienkonsum nur überdeckt, aber nicht behoben wird.
    An dieser Stelle ist Marina Krcmar die lobenswerte Ausnahme. Sie hat ausführliche Gespräche mit über 100 Personen geführt, die sich gegen das Fernsehen entschieden haben. Und sie stellt fest, dass dies in der Mehrzahl der Fälle nicht etwa eine Anti-Entscheidung ist (gegen das Fernsehen), sondern eine Pro-Entscheidung (für das echte Leben):
     
    Die meisten Nichtfernseher entschieden sich gegen die Fernsehnutzung, gerade weil sie ihre Bedürfnisse auf eine Art und Weise befriedigen wollten, die ihnen passender erschien als Fernsehen.
    (Krcmar 2009, S. 208)
     
    Wenn’s um Entspannung geht, heißt bei ihnen die Lösung Spaziergang oder Gespräch oder Buch und kein Horrorfilm. Ist sozialer Kontakt gewünscht, entscheidet man sich für den Jazzchor, die Essenseinladung, das Telefonat mit einer Freundin und nicht die Vorabendserie. Marina Krcmars Gesprächspartner erwähnen dabei oft, dass Fernsehen kurzfristig befriedigt, aber langfristig ein schales Gefühl hinterlässt, während die zunächst mühsamer erscheinenden Alternativen auf Dauer Nutzen bringen. Dass ihre Kinder wirklich »die Wahl haben sollen«, also Selektionsfähigkeit im besten Sinne erlernen sollen, finden diese Eltern wichtig. Man kann sich diese Fähigkeit als eine Art Spanngummi vorstellen, das

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