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Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Bleckmann
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Kompetenzsteigerung, aber gerade nicht zum erhofften Kompetenztransfer vom Bildschirm ins Leben. Am Bildschirm lernen wir hauptsächlich für den Bildschirm, im Leben lernen wir für beides.

Sprich mit mir! – 30 Millionen Wörter zu wenig
    Um dem »schönen« Turm aus Kapitel 4 nun einen »realistischen« Turm gegenüberstellen zu können, präsentiere ich einige Daten, die belegen, wie anders der Turm für ein Kind aus nicht privilegierten Verhältnissen dargestellt werden muss.
    Ein amerikanisches Forscherteam um Betty Hart und Todd Risley machte zweieinhalb Jahre lang regelmäßig in verschiedenen Familien Videoaufzeichnungen zum Kommunikationsverhalten. Die Teilnehmer stammten aus Familien mit Kleinkindern aus drei verschiedenen Milieus. Dies waren erstens arme Familien, die von staatlicher Unterstützung lebten
(welfare families)
, dann Familien aus dem Arbeitermilieu
(working class)
und schließlich Familien mit hohen Bildungsabschlüssen und hohem Einkommen
(professionals).
Im Titel der Studie kommt der Ausdruck »the 30 million word gap«, also die 30 Millionen-Wörter-Kluft vor. An ein Kind aus dem Welfare-Milieu waren nämlich bis seinem fünften Geburtstag hochgerechnet 13 Millionen Wörter gerichtet worden, im Vergleich zu 45 Millionen Wörtern im Professional-Milieu. Eine genauere Analyse der Sprachinhalte ergab zudem, dass die »Privilegierten« dabei weniger als halb so viele
negative
Äußerungen wie ihre Altersgenossen hören mussten. Gelobt, oder allgemeiner
positiv
angesprochen wurden sie sechsmal häufiger. 121
    Das Vorleseverhalten in den Familien variiert ebenfalls ganz dramatisch. Während einem deutschen Kind in der Mittelschichtbis zum Einschulungsalter 1700 Stunden lang vorgelesen wird, also eine knappe Stunde am Tag, sind es in sozial schwächeren Schichten nur 24 Stunden, also eine knappe Minute pro Tag. 122
    Wie Bildungsklüfte entstehen
    Was füllt wohl die Lücke, was füllt die Zeit, in der in der einen Familie 30 Millionen Wörter gesprochen und 1676 Stunden lang vorgelesen wird, in der anderen nicht? Ist es Stille? Einen Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage können Studien liefern, die Mediennutzung und -ausstattung für verschiedene Gruppen von Familien untersuchen.
    Wie viel trägt erstens der Bildungsgrad der Eltern zu der Frage bei, welche Medien in den Kinderzimmern vertreten sind? Die Auswertung von Daten aus verschiedenen Schülerbefragungen des Kriminologischen Forschungsinstituts von Thomas Mößle und Kollegen in Hannover ergab folgendes Bild:
    Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss haben, besitzen mit 57 Prozent mehr als dreimal so häufig einen eigenen Fernseher wie Kinder von Eltern mit hohen Bildungsabschlüssen. Für Spielkonsolen ist die Ausstattungsquote bei niedriger Bildung der Eltern sogar fast viermal so hoch (42 % vs. 11 %); auch eigene Computer besitzen die Kinder gebildeterEltern etwas seltener (Pfeiffer et al. 2008). Einen eigenen PC haben später die Heranwachsenden fast alle, aber die Kinder aus gebildeten Elternhäusern bekommen ihren ersten eigenen PC später. 123
    Gerätebesitz von Kindern nach Bildungsniveau der Eltern
    Und wie sieht es mit den Nutzungszeiten aus? Schauen wir uns den sogenannten Extremgruppenvergleich aus der Analyse an: In der Summe nutzt ein deutsches Mädchen aus Süddeutschland, bei dem mindestens ein Elternteil Abitur hat, an Werktagen 43 Minuten lang die Bildschirmmedien. Ein norddeutscher Junge mit Migrationshintergrund, dessen Eltern höchstens Hauptschulabschluss haben, verbringt dagegen an einem Schultag etwa 3 Stunden vor dem Bildschirm. Am Wochenende sind diese Unterschiede noch ausgeprägter, und zwar 54 Minuten im Vergleich zu 4,5 Stunden.
    Eine ähnliche Untersuchung, in der Familien aber nicht allein nach Bildungsabschluss, sondern nach SINUS-Milieus unterschieden wurden, bringt ähnliche Ergebnisse. Diese Milieuswerden nach ihrem finanziellen Status und nach ihrer Grundorientierung eingeteilt. Am
geringsten
ist die Fernsehnutzung in den obersten, also reichen, gebildeten, modernen Milieus. Bei den »Postmateriellen« sehen 3 − 13-jährige Kinder im Schnitt 71 Minuten pro Tag fern, im traditionellen Arbeitermilieu waren es mit 140 Minuten ziemlich genau doppelt so viele. 124 Das Plus beim Vorlesen und Sprechen, das privilegierte Kinder genießen, wird also bei benachteiligten Kindern nicht durch Stille, sondern eher durch Fernsehen und Computer ersetzt.
    Langer und inhaltlich problematischer

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