Medienmuendig
wie in der folgenden Abbildung den Medienmündigkeitsturm umfasst und zusammenhält.
Marina Krcmar hat den Nutzen- und Belohnungsansatz vommedialen Scheuklappenblick befreit. Wenn nichtmediale Handlungsalternativen und die zeitliche Dimension der anhaltenden oder eben nur kurzfristigen Gratifikation einbezogen werden, ist in doppelter Hinsicht eine bessere Grundlage für die Entscheidung für oder gegen die Mediennutzung vorhanden.
Ach ja, und was ist denn nun der Unterschied zwischen einem Abflussreiniger und einer Vorabendserie? Keiner. Wer die Alternativen kennt, wird auf beide meist verzichten.
Wer nun meint, man könne die Idee des nun fertiggestellten Turms so zusammenfassen, dass wir im Verlauf des Turmbaus immer vom Einfachen zum Komplizierten fortgeschritten sind,
Endlich medienmündig! Hoher Turm, solide Basis
Wer nun meint, man könne die Idee des nun fertiggestellten Turms so zusammenfassen, dass wir im Verlauf des Turmbaus immer vom Einfachen zum Komplizierten fortgeschritten sind,der irrt gewaltig. Für die Lösung mathematischer Aufgaben mag das gelten, aber für das Leben ist es genau andersherum. Das Fortschreiten vom echten Leben als Basis zu den Medien in den höheren Stockwerken kann man, wenn überhaupt, eher als Fortschreiten vom Komplexen zum Einfachen verstehen. Ein Kind lernt, wie der oben geschilderte Vorgang der sensomotorischen Integration zeigte, eben nicht zuerst nur sehen, dann hören, dann riechen usw., sondern es wird sozusagen in ein Meer miteinander verbundener Wahrnehmungen geworfen und lernt darin schwimmen. Auch die Muttersprache lernt ein Kind nicht, indem man ihm einzelne Buchstaben beibringt, die sich dann erst zu Wörtern zusammensetzen.
Komplexe Ganzheiten wahrnehmen und verstehen lernen, dazu ist das echte Leben unvergleichlich gut geeignet, und das können auch schon winzige Babys. Man könnte sogar sagen, dass isolierte visuelle und akustische Reize ohne Einbindung in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang ein Baby im Grunde unterfordern, weil sie unterkomplex sind. Das ist eine wichtige Feststellung: Bildschirmmedien überfordern Kinder nicht nur durch ungeeignete Inhalte, sondern sie unterfordern sie auch durch die fehlende Ansprache der acht Sinne.
Natürlich kann man einwenden, dass der Bau eines solch schönen und stabilen Turms, wie er nun in Kapitel 4 gewachsen ist, für die Kinder von heute eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Das stimmt, und daraus ergibt sich zweierlei: In der nächsten Generation wird es zu wenige geben, die wirklich medienmündig sind, und man sollte daher besonders denjenigen Eltern danken und gratulieren, denen diese Aufbauleistung gemeinsam mit ihren Kindern heute noch gelingt. Zweitens heißt es, dass man beschreiben sollte, wie der Turm auch aussehen könnte − und allzu oft aussehen wird, wenn die gute Basis im echten Leben fehlt, und was dagegen getan werden kann. Genau darum geht es im nächsten Kapitel.
KAPITEL 5
Der wackelige Turm der Bildungsverlierer – die Basis fehlt
Was heißt überhaupt »privilegiert«?
Ob Kinder erfolgreich lernen können, hängt heute davon ab, ob Eltern und Pädagogen sich Zeit für Kinder nehmen, ihnen Aufmerksamkeit schenken, und ob sie die Neugier und die Fähigkeit zum Wünschen bei den Kindern erhalten können. Aufmerksamkeit ist das knappe Gut und Information im Überfluss vorhanden, und deshalb wird der Schutz vor Reizüberflutung durch Medien zum wichtigen Bildungsvorteil. Früher galten Kinder als privilegiert, weil sie Dinge hatten, die andere Kinder nicht haben konnten. Heute kann man sagen, dass im Medienbereich diejenigen Kinder privilegiert sind, die bestimmte Dinge nicht haben, die ein Durchschnittskind hat. Die unten folgenden Statistiken zeigen zwar deutlich, dass gebildete und finanziell gut gestellte Eltern sich im Schnitt häufiger die Abwesenheit von Mediengeräten »leisten«, aber es gibt auch vordergründig privilegierte Elternhäuser, in denen sich bedenkliche Muster herausbilden, schlimmstenfalls etwa so: »Wir sind gebildet, wir haben viel Geld, aber wir haben keine Zeit, also kaufen wir unserem Kind aus einem schlechten Gewissen heraus die teuerste mediale Kinderzimmer-Komplettausstattung, die es gibt.«
Auf der anderen Seite fällt mir sofort das Beispiel der alleinerziehenden Mutter mit Hauptschulabschluss ein, mit der ich bei der Befragung zur bildschirmfreien Kindergartenzeit ein Interview führte. Es hängt also nicht am dicken Portemonnaie oder am
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