Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Bleckmann
Vom Netzwerk:
stattdessen bei den Abonnenten einer Autozeitschrift nachgefragt, wäre sicher etwas anderes herausgekommen.
    Nun aber ein positives Gegenbeispiel einer methodisch exzellente Studie – nicht erfunden, sondern über mehrere Jahrzehnte sorgfältig durchgeführt: Ein Forscherteam in Neuseeland um den schon mehrfach erwähnten Robert Hancox (2004) befragte sogar schon die schwangeren Mütter eines ganzen Geburtsjahrgangs: Das Alter, Ernährungsverhalten, Fernsehgewohnheiten, Familienstand, Ausbildungsstand, etwaige gesundheitliche Risikofaktoren wie Übergewicht, Alkoholismus, Rauchen wurden erfasst, zunächst bei den Müttern und später bei den Neugeborenen, Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen. Über 30 Jahre lang haben die Forscher die Entwicklung dieser Kinder begleitet, und es konnte gezeigt werden, dass diejenigen Teilnehmer der Studie, die als Kinder früh mit dem Fernsehen begonnen hatten, als Erwachsene häufiger zur Gruppe der Vielfernseher gehörten. Zudem konnten die Forscher Zusammenhänge zwischen starker Fernsehnutzung in der Kindheit und zahlreichen unangenehmen und unerwünschten Erscheinungen nachweisen: Nikotinabhängigkeit, Alkoholabhängigkeit, Übergewicht und Schulschwierigkeiten. Das sind zunächst nur Korrelationen, also statistische Zusammenhänge: Aber nicht jeder, der viel fernsieht, ist dick. Nicht jeder, der wenig fernsieht, ist dünn. Jedoch finden sich mehr Über- als Normalgewichtige unter denen, die viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen. Aber was ist dabei Ursache und was Wirkung? Erst durch das Längsschnittdesignder Untersuchung konnte nachgewiesen werden, dass die Wirkung in beide Richtungen geht, aber deutlich stärker in die eine als in die andere. Es ergab sich, dass auch beim Herausrechnen vieler anderer Einflüsse 22 das Fernsehen zum Übergewicht beiträgt. Die Fernsehnutzungsdauer ist, wie man sagt, ein
eigenständiger
Erklärungsfaktor. Das heißt nicht, dass sie der
einzige
Erklärungsfaktor ist. Viele Faktoren haben einen Einfluss auf viele andere, und deshalb kann man sagen: Es gibt vieles, was dick und dumm machen kann, und Fernsehen gehört dazu.
    Allerdings sagt auch diese Längsschnittstudie zunächst nur aus,
dass
Fernsehen im Kindesalter viele negative Auswirkungen hat, aber die Frage nach dem
Warum
ist damit nicht geklärt.
    Und warum fesselt das Fernsehen eigentlich so? Viele Erwachsene beobachten, dass sie vor dem Fernseher gut »entspannen« können. Dazu passt die Tatsache, dass dabei die Häufigkeit der schnellen Blickbewegungen auf etwa ein Zehntel reduziert ist, dass zur Blickstarre oft eine allgemeine Muskelträgheit hinzukommt; eine Studie kam sogar zu dem Ergebnis, dass junge Versuchspersonen beim Fernsehen noch weniger Energie verbrauchen als beim absoluten Nichtstun. 23 Am Computerbildschirm, der fast immer näher vor Augen ist als der Fernseher, kommt es nach längeren Zeiten der Fixierung auf eine bestimmte Entfernung zu
transient myopia
, also einer vorübergehenden, relativ schnell wieder abklingenden Kurzsichtigkeit. 24
    Eine US-amerikanische Studie zu Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHS kommt zu folgendem Ergebnis: Je mehr Stunden ein Kind in der frühen Kindheit vorm Bildschirm verbracht hat, desto höher ist das Risiko, bei der Einschulung unter ADHS zu leiden. 25 Und wie ist es mit Gewalt? Gewalt ist ohne Zweifel die schlagzeilenträchtigste Medienwirkung. In einer aktuellen Meta-Analyse zum Thema Gewalt in Computerspielen stellen die Autoren fest, dass heute kein Zweifel mehr daran bestehen kann, dass Mediengewalt einen Beitrag zur Entstehung realer Gewaltleistet, und zwar umso ausgeprägter, je jünger die Rezipienten der Gewaltmedieninhalte sind. 26 Gewalttätiges Verhalten wird dabei nach neuesten Erkenntnissen weniger durch Mediengewalt angeheizt, sondern »nur« nicht verhindert, weil bei den Jugendlichen die Empathiefähigkeit, also das Mitgefühl, durch Medieneinfluss abnimmt.
    Kann man sagen, es ist nicht so schlimm, wenn »nur« das Mitgefühl verlorengeht, aber nicht die Aggressivität direkt zunimmt? Nein! Vergleicht man Gewalt mit einem Auto, würde man doch eher sagen: Ganz gleich, ob ein Auto nach dem Aufenthalt in einer Werkstatt ein auf Vollgas verklemmtes Gaspedal oder eine kaputte Bremse hat, oder vielleicht auch beides: Das Fahrzeug ist gefährlich, und in diese Werkstatt würde man nicht wieder gehen.

Der kleine Sims-Beziehungsratgeber
    Die bisher beschriebenen Medienwirkungen hatten fast alle etwas gemeinsam: Sie waren

Weitere Kostenlose Bücher