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Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Bleckmann
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messbar, sie waren erfassbar. Wenn wir jetzt den Bereich verlassen, in dem Schäden streng wissenschaftlich erfassbar und messbar sind, begeben wir uns auf spannendes, aber ungewisseres Terrain. Also: Wie sieht es mit Medienwirkungen im Bereich der Gefühle und Gedanken aus?
    Mit den Beziehungen zwischen Menschen ist es, wie wir alle wissen, schwierig. Das gilt für Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, zwischen Männern und Frauen, Lehrern und Schülern. Sie sind alles andere als leicht zu durchschauen, wie man auch an der Flut von Beziehungsratgebern ermessen kann. Würde man da nicht manchmal gern einfach in den anderen hineinschauen können, um endlich zu wissen, was er fühlt?
    Das ist jetzt möglich geworden, und daher kann ich mithilfe von Insider-Informationen einen kleinen Ratgeber auf nur einer Seite schreiben, der umfassend alles abdeckt, was man über Beziehungen wissen muss – wenn schon nicht im Leben, so doch immerhin in dem Spiel
Die Sims.
27 Meine Informantin, nennenwir sie einmal Greta, ist inzwischen Studentin und 24 Jahre alt und erzählt:
     
    Die Sims-Jungen, die meine Freundinnen und ich uns damals gebaut haben, hatten immer denselben Namen wie unser echter Schwarm, man konnte sie auch ein bisschen ähnlich aussehen lassen. Ganz am Anfang, in der ersten Version, war es noch viel einfacher. Da gab es nur einen Beziehungsbalken. Da konnte man innerhalb eines Tages locker fünf 100 Prozent-Freunde bekommen, aber das war auch irgendwie langweiliger. Jetzt, in der zweiten Version, ist es schwieriger geworden, gute Beziehungen aufzubauen. Man muss eben genau wissen, wie man es macht, dann klappt es immer:
    Also, als erstes macht man sich einen Charakter. Dann geht man mit dem eigenen Charakter hin und muss erst einmal immer Reden und Witze machen anklicken. Man sollte Essen dastehen haben, dann geht der Beziehungsbalken schneller hoch. Der zeigt an, wie sehr die beiden sich aktuell mögen. Wenn der Tagesform-Beziehungsbalken bei 20 Prozent ist, dann kann man auch schon anfangen mit Komplimentemachen und Tanzen. Was immer gut ist, egal wie hoch der Balken ist, ist Musik oder Fernsehen anmachen oder in den Whirlpool gehen. Aber bloß noch nicht Flirten, das geht am Anfang zu oft schief, wenn man noch nicht bei 50 Prozent auf dem Tagesbalken ist. Bei über 50 Prozent geht es dann eigentlich immer gut mit Flirten. Am ersten Tag bringt man den Tagesbalken auf 70 und der Dauerbalken bleibt auf null, egal was man macht. Der Dauerbalken, der zweite Beziehungsbalken, der zeigt eben nicht die Tagesform an, sondern wie gut die Dauerbeziehung ist. Man muss den Sims-Mann dann nach Hause schicken und abwarten, damit die Balken Zeit haben, sich anzugleichen.
    Wenn der Dauerbalken auf 40 ist, dann lohnt es sich wieder, ihn einzuladen. Wenn der Dauerbalken bei 50 ist, kann man schon auf Rumschmusen klicken, aber vorher nicht, sonst geht das schief, und dann kommt Minus-Minus und die Balken sinkenwieder ab. Und ab 60 Prozent weiß man, jetzt hat es geklappt mit den beiden. Man kann dann aussuchen, ob man Techtelmechtel klicken will oder Babymachen, je nachdem. Aber das klappt dann immer. Der Unterschied ist halt, dass es bei Techtelmechtel kein Kind gibt.
     
    Das Wichtigste an Gretas Enthüllungen habe ich Ihnen aber bewusst bis zum Ende vorenthalten. Sie hat nämlich seit Neuestem erstmals einen festen Freund, also im echten Leben, nicht als Sims-Beziehung. Valentin heißt er. Greta erzählt:
     
    Neulich dachte ich dann: »Einen Valentin könnte ich mir doch auch mal bei den Sims machen, das war doch immer so lustig.« Also habe ich mir im Spiel einen Valentin gemacht und dann mit dem was angefangen, wie früher. Das habe ich aber ganz bald wieder aufgehört, es war mir sofort langweilig. Also, im Vergleich zum echten Valentin war der Sims-Valentin schrecklich langweilig.
     
    Natürlich war Greta schon zehn Jahre alt, als sie die Sims zu spielen begann. Da konnte sie schon gut zwischen Wirklichkeit und Sims-Welt unterscheiden. Anders gesagt: Sie war deutlich größer als die kleinen Kinder, die mit einer Banane angelaufen kommen, wenn im Film einer über Hunger klagt. Damit hatte sie bereits, was Wissenschaftler Realität-Fiktion-Unterscheidungs-Kompetenz (RFU-Kompetenz) nennen, erreicht. Allerdings schützt RFU-Kompetenz nicht vor langfristigen Veränderungen im Weltbild, wie schon vor Jahrzehnten George Gerbner und Kollegen in einer Untersuchung zeigen konnten. Dabei wurden die Teilnehmer in drei Gruppen

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