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Medienmuendig

Medienmuendig

Titel: Medienmuendig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Bleckmann
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Sparte liegt das Potential für die Absatzsteigerung durch Nörgeln bei bis zu 50 Prozent! Ein Viertel aller Freizeitparkbesuche hätte zum Beispiel ohne das Nörgeln der Kinder nicht stattgefunden. Aber sind denn alle Eltern gleich stark durch Nörgeldruck zu beeinflussen? Natürlich nicht! Das müssen wir schon differenzierter betrachten. Vier verschiedene Elterntypen bilden die Grundlage für eine Feinabstimmung des verkaufsfördernden Nörgelns als innovative Vermarktungsstrategie. Diese Unterscheidung ist für uns sehr wichtig, denn ein Teil der Elterntypen ist sehr leicht zu beeinflussen, ein anderer Teil besteht leider aus richtig harten Nüssen.
     
Die »Nachgiebigen« sind Eltern, die im Prinzip jeder Laune des Kindes folgen.
»Kumpeleltern« wollen Spaß, genau wie ihre Kinder.
Die »Konfliktbelasteten« sind alleinerziehende und/oder geschiedene Eltern, deren Einkaufsverhalten oft durch Schuldgefühle beeinflusst wird.
Die »Spaßverderber« 40 sind Eltern, denen es gelingt, die Nörgeleien der Kinder abzuwehren und selbstbestimmte Kaufentscheidungen zu treffen.
     
    Die ersten beiden Gruppen sind nicht schwer zu erreichen, sie sprechen gut auf denn Nörgelfaktor an. Etwas schwerer wird esmit den »Konfliktbelasteten«. Als Alleinerziehende haben sie zwar oft wenig Geld, aber wenn man geschickt ihre Schuldgefühle in der Werbung aufgreift, kann man sie dennoch zum Kauf überreden. Allgemein gilt:
     
    Wenn wir einen kreativen Werbespot entwickeln könnten – verstehen Sie, einen Dreißig-Sekunden-Spot, der das Kind ermutigt, zu nörgeln, […] wenn das Kind diesen Spot versteht und in der Lage ist, ihn vor seinen Eltern zu wiederholen, dann haben wir Erfolg gehabt. 41
     
    Die vierte Gruppe, die »Spaßverderber«-Eltern sind hier natürlich unsere größten Sorgenkinder, Pardon, Sorgeneltern. Das ist die Zielgruppe, die am schwierigsten zu erreichen ist, seufzen wir im gleichen Atemzug mit Lucy Hughes. Diese Eltern zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Durchschnitt reicher und gebildeter sind als andere Eltern und dass sie sich weniger gestresst fühlen. Das ist zwar außerordentlich frustrierend, aber wir sind auf einem guten Weg. Noch vor 80 Jahren konnte man gerade in England der Meinung begegnen, Werbung für wirklich reiche Leute sei grundsätzlich verlorene Liebesmüh. »Wirklich reiche Leute entscheiden selbst, was sie kaufen wollen und wann. Werbung für diese Zielgruppe macht überhaupt keinen Sinn.« 42 Was die Werberesistenz der Reichen angeht, haben wir große Fortschritte gemacht. Natürlich müssen wir aufpassen, dass die LOHAS
(lifestyle of health and sustainability)
sich nicht zu einer großen Konsumentengruppe entwickeln, die ähnlich hohe Werberesistenz wie früher die britischen Adeligen aufweisen könnte.
    (Bedenken und mögliche Gegenreaktionen von Eltern verbannen wir in diesem Theaterstück, in dem Sie als Leser »mitspielen«, in die Fußnoten. 43 Sonst müssen wir als advocatus diaboli immer auf die Bremse treten, wenn wir gerade dabei sind, richtig in Fahrt zu kommen.)
    Apropos Bremse: Ob wir vielleicht ethische Bedenken haben sollten, den Nörgelfaktor, um dessen Wirksamkeit wir ja nunwissen, auch einzusetzen? Gewissensbisse? Nein, denn er funktioniert einfach zu gut, und das ist es, was zählt. Kelly Stitt, Senior Brand Manager aus Heinz’ Ketchup-Abteilung, meint dazu:
     
    All unsere Werbung richtet sich an Kinder. Der Nörgelfaktor ist einfach wichtig, damit die siebenjährige Sarah im Lebensmittelladen ihre Mami so lange anbettelt, bis sie Funky Purple kauft. Wir können nicht sicher sein, dass Mami von allein die Hand danach ausstrecken würde.
     
    Und wir haben durch die Anleitung zum Betteln schließlich nicht nur den kurzfristigen Effekt, mit dem wir sehr schnell die Verkaufszahlen steigern können, sondern zusätzlich einen langfristigen Bonus-Effekt durch die Störung der Eltern-Kind-Beziehung. Das Untergraben einer tragfähigen, vertrauensvollen Beziehung zwischen Eltern und Kind ist ja auch geeignet, das Suchtrisiko bei den zukünftigen Konsumenten zu erhöhen. Da tut doch unser Herz als Marketingchef vor Freude einen kleinen Hüpfer (sofern wir noch eins im Leibe haben): Durch Nörgeln können wird nicht nur heute mehr verkaufen, sondern auch die Suchtgefährdung steigern, was sich wiederum auf die zukünftige Kundenbindung günstig auswirkt. Und das war noch nicht einmal, wie man vielleicht meinen sollte, der größte Kracher in unserem Manipulationsarsenal.

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