Medienmuendig
wurden gekauft und von den Kindern rege genutzt: 7 Stunden pro Woche mehr als in der Vergleichsgruppe, hauptsächlich für Computerspiele. Immerhin reduzierten sich die Fernsehzeiten um ca. 3 Stunden, so dass »nur« vier Stunden zusätzlicher Bildschirmzeit pro Woche bei den Computer-Gewinnern übrig blieben. Die Hausaufgaben wurden dabei aber vernachlässigt, und am Ende kam heraus, dass die Computer-Gewinner die Bildungs-Verlierer waren. Sie hatten einfach deutlich schlechtere Noten als die Vergleichsgruppe. 52 Da hilft dann nur noch, dafür zu sorgen, dass diese Sache nicht zu viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht …
Wir sind die »digital natives« – unsere Eltern haben nichts zu sagen!
Die Macht gut gewählter Begriffe darf man nicht unterschätzen: In der Medienwissenschaft sind im Zusammenhang mit den neuen Medien jüngst die Begriffe
digital immigrants
und
digital natives
aufgetaucht.
Was uns älteren Generationen solche Frustration bereitet, hilft in Wirklichkeit den Kindern, sich zu neuen Höhenflügen aufzuschwingen: im Bereich des politischen Aktivismus, des sozialen Engagements, der kreativen Zusammenarbeit und der unternehmerischen Initiative. 53
Digital natives
ist bei den Autoren dieses Textes, Palfrey und Gasser, ein sehr positiv besetzter Begriff, und das gilt es zu nutzen. Die Elterngeneration, das sind die digitalen Immigranten, die Kinder und Jugendlichen sind die erste Generation von digitalen Eingeborenen. Kinder als Kenner und Könner, Erwachsene als unwissende Einwanderer? Die Relevanz solcher Konzepte fürs Marketing von Medienprodukten liegt auf der Hand. Eltern, die den Vorwurf schlucken, sie seien unwissende Einwanderer, ihre Kinder seien die Kundigen, werden eher zum Kauf zu überreden sein. Warum? Je geringer das Vertrauen der Eltern in die eigenen Fähigkeiten beim Umgang mit dem Computer, desto anfälliger sind sie – natürlich – für die Botschaft, ihr Kind müsse den Umgang damit möglichst früh lernen. Es soll dem Kind ja nicht wie mir gehen!, denken sie.
Und wie reagieren die Kinder auf die »digital natives«-Metapher? Nun, warum sollten sie diese Art von Botschaft hinterfragen? Hey Kids, ihr seid stark, ihr kennt euch aus! Eure Eltern, diese alten Schachteln, haben doch keine Ahnung! Lasst euch von denen nichts sagen! Das werden die Kinder doch gern hören, 54 und sie werden es auch an ihre Eltern weitergeben, was sich wiederum ideal mit dem oben beschriebenen Nörgelfaktor-Ansatz ergänzt.
Diese Art von Werbebotschaften nennt die Branche in Amerika, wo man uns Europäern in Sachen Newspeak noch um Einiges voraus ist, übrigens
Kids Empowerment,
Kinder-Ermächtigung. 55 Das hört sich auch irgendwie positiver an als »Eltern-Diskriminierung«. In diese Richtung darf es aber schon gehen, wenn die Verkaufszahlen hinterher stimmen. Eltern, die sich nicht auskennen mit all dem Neuen, sind ja tatsächlich die
idealen Sündenböcke,
falls bei der Mediennutzung schädliche Folgen auftreten. Für das Problem der Computerspielabhängigkeit hat der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen (GAME) die Sündenbock-Strategie in seinem Elternratgeber überzeugend umgesetzt:
Eine erhöhte Suchtgefährdung ist vor allem dann vorhanden, wenn der Erziehungsauftrag in verschiedenen Bereichen nicht verantwortungsbewusst wahrgenommen wird. […] Den Eltern fällt im richtigen Umgang der Heranwachsenden mit Medien allgemein die größte Verantwortung zu.
So nachzulesen im GAME-Ratgeber
Richtig spielen!
im Unterkapitel »Computerspiel und Sucht«. Die erhöhte Suchtgefährdung durch bestimmte Spiele sollte man dagegen idealerweise verschweigen, andernfalls leugnen. Auch das ist im GAME-Ratgeber vorbildlich verwirklicht. Nun dürfen Sie noch raten, wie man sich bei GAME den verantwortungsbewussten Umgang mit Computerspielen in der Familie vorstellt:
Als Tipp für den Medienalltag in einer Familie ist es wünschenswert, digitale Spiele bei Interesse eines Familienmitgliedes in den Alltag zu integrieren und zusammen als Familie zu erleben. Hierfür gibt es eine Vielzahl an Spielen, die familiengerecht sind und zusammen als Erlebnis erfahren werden können. 56
Das schlucken die Eltern natürlich viel eher, wenn sie sich selbst als medial inkompetente
digital immigrants
ansehen. Es gibt allerdings eine Zielgruppe unter den Eltern, bei denen Sie auch als ausgefuchster alter Werbefachmann mit dieser Botschaft leidernicht weiterkommen werden. Es sind
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