Medienmuendig
den Griff zu bekommen, wenn man einmal damit begonnen hat, kann man aus dem Sinneswandel einer »Erziehungs-Expertin« ablesen, die vom Praxisschock berichtet, als sie selbst Mutter wurde.
Als Beraterin für Kindertageseinrichtungen, da bin ich als junge Sozialpädagogin immer in die Einrichtungen gegangen und habe den Leiterinnen verkündet: »Was Fernsehen und Computer angeht, da müssen die Eltern einfach ganz klare Grenzen setzen.« Das habe ich jahrelang jedem so erklärt, der es hören wollte. Und dann bekamen wir eigene Kinder. Mit dem Großen ging es noch ganz gut, da hatte ich mir gesagt, es reicht, wenn er mit vier Jahren das erste Mal fernsieht. Sobald wir das aber angefangen haben, war es eigentlich ein ständiger Kampf. Er war begeistert, gleich vom ersten Sandmännchen an hockte der wie gebannt davor. Er war aber noch zu klein, um zu verstehen, wieso dann Schluss sein musste, und es gab da regelrechte Kämpfe. Der kleine Bruder hat dann gleich mitgeguckt, und hat erst recht protestiert, wenn ich ausmachen wollte … Ich habe mich dann richtig geschämt für meine Bemerkungen, von wegen »ganz einfach Grenzen setzen«, und ich empfehle den Eltern und Erzieherinnen heute was ganz anderes: Jedes Jahr, das dieKinder verbringen, ohne dass Fernsehen Teil des Alltags ist, ist ein gewonnenes Jahr.
Und da ist die Sozialpädagogin kein Einzelfall, auch wenn die Ehrlichkeit, mit der sie ihre Fehleinschätzung zugibt, selten und bewundernswert ist. Wer spricht schon gern über das eigene Scheitern? Die Konflikte, die es irgendwann ja sicherlich geben wird, in eine Altersstufe zu verschieben, in der das Kind Regeln schon verstehen kann, ist jedenfalls eine sehr gute Idee. Auf zehn Elternteile, die meinen, das eigene Kind verbringe zu viel Zeit vor dem Fernseher, kommt statistisch gesehen nur eines, das meint: »Mein Kind sieht zu wenig fern.« Umgekehrt ist es beim Lesen: Da meint die siebenfache Überzahl, das Kind lese zu wenig. 2
Man kann sich viele Konflikte sehr erleichtern, wenn man sie eher über Taten als über Worte löst. Das kann heißen, wie im Fallbeispiel oben, dass der Fernseher in den Schrank wandert. Es kann heißen, dass sich alle (älteren) Kinder einen Computer teilen, der in der Küche steht. Oder zum Beispiel, dass Sie Ihrem Kind ein Handy schenken, mit dem man telefonieren kann. Sonst nichts. Dann brauchen Sie nicht viel Worte zu machen über die Gefahren von Happy Slapping oder pornografischen Bildbotschaften und so weiter. Das Gerät gibt dann technisch fast alles her, was ganz eindeutig auf der Seite der Chancen dieser neuen Technologie liegt, vermeidet aber die meisten Risiken. Leider wird es diese Geräte in ein paar Jahren nicht mehr geben. Horten Sie also vorsorglich schon Unifunktionshandys, wenn Sie heute kleine Kinder haben.
Als Erwachsener mit gutem Beispiel vorangehen – auch beim Streiten
Wenn wir bei einem Kind etwas ändern wollen, sollten wir
zunächst fragen, ob es sich nicht um etwas handelt, das wir an
uns selbst ändern müssen.
C. G. JUNG
Mir ist schon oft die Frage gestellt worden, wie man es schaffen kann, Medienregeln aufzustellen, die nicht zu einem Dauerkonflikt zwischen Eltern und Kindern führen. Wenn dann sofort Antworten und Tipps kommen, hat man eigentlich den zweiten Schritt vor dem ersten getan. Streit um Bildschirmnutzung gibt es ja ganz und gar nicht nur zwischen Eltern und Kindern. Mindestens drei verschiedene Fälle von Streit um Medienthemen unter Erwachsenen treten besonders häufig auf:
1. Die Eltern sind sich nicht einig, wie die Mediennutzung der Kinder zu regeln sei. Meist sieht es die Mutter strenger als der Vater; mir ist aber auch schon Umgekehrtes berichtet worden. Was für eine Zukunftsinvestition wäre es, wenn sich die Eltern über Medienerziehung schon gemeinsam Gedanken machen könnten, wie sie das handhaben wollen,
bevor
es losgeht! Wenn die Weichen einmal gestellt sind, ist es viel schwerer zurückzurudern. Auch wenn das ein mühsames Gespräch ist und Sie sich nicht leicht einigen: Es lohnt sich, weil die Kinder Sie nicht gegeneinander ausspielen können und weil Sie damit viele hundert Stunden Streit mit den Kindern vermeiden.
2. Die zweite Art des Streits ist die Unzufriedenheit eines Elternteils, dass der/die jeweils andere zu viel Zeit am Bildschirm verbringt. Für die Lösung von Konflikten um die Fernseh- oder Computerzeiten der Kinder bringt es schon sehr viel, wenn die Kinder einfach nur erleben, dass ihre
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