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Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)

Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)

Titel: Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ott
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der Sitzmeditation kann die Aufmerksamkeit auf unterschiedlichste Objekte, wie den Atem, eine Körperregion, ein Mantra, ein Bild, eine emotionale Qualität, eine Vorstellung etc., gerichtet werden oder aber auch auf gar kein bestimmtes Objekt.
    Meditation ist heutzutage nicht mehr auf religiöse Kontexte und Zielsetzungen beschränkt, sondern wird auch in Kliniken zur Behandlung von Patienten eingesetzt, denen es primär um eine Besserung ihrer Symptome geht und nicht um spirituelle Erleuchtung. Schließlich kommt Meditation auch in Bereichen wie dem Spitzensport als Mittel zur Konzentrationsförderung zum Einsatz.
    Diese große Variationsbreite traditioneller und moderner Verfahren und Anwendungsbereiche macht es außerordentlich schwierig, allgemeingültige definierende Merkmale für Meditation zu bestimmen. Ein aufwendiger Versuch in diese Richtung wurde zuletzt von Ospina et al. (2007) unternommen. Sie legten sieben Meditationsexperten insgesamt zehn Kriterien vor und baten sie einzuschätzen, ob diese für Meditation unwichtig, wichtig oder essentiell seien. Die Befragung wurde nach dem Prinzip der Delphi-Methode mehrfach wiederholt, wobei den Experten zuvor jeweils das Ergebnis der letzten Befragung in anonymer Form mitgeteilt wurde, in der Absicht, einen Konsens zu erzielen, definiert als eine übereinstimmende Bewertung von mindestens fünf der sieben Experten.
    Nach der fünften Befragungsrunde ergab sich für drei Kriterien ein Konsens, dass diese für Meditation essentiell seien:

     
Es muss sich um eine definierte Technik handeln.
Es kommt zu einer »Entspannung der Logik«, d.h. Analysen, Urteile und Erwartungen sind reduziert.
Es handelt sich um einen selbstinduzierten Zustand/eine Stimmung, der/die auch unabhängig von einem Lehrer zu Hause hergestellt werden kann.

    Ein viertes Kriterium verfehlte die Einstufung als essentielles Merkmal nur knapp (vier Bewertungen als »essentiell«, drei als »wichtig«):

     
Geistige Ruhe und physische Entspannung durch Unterbinden des normalen Gedankenstromes

    Von den verbleibenden sechs Kriterien wurden fünf als »wichtig« eingestuft:

     
Psychophysische Entspannung
Fokussierung auf einen »Anker«, um unerwünschtes Denken, Trägheit und Schlaf zu vermeiden
Veränderte Bewusstseinszustände, mystische Erfahrungen, »Erleuchtung«, Beenden von Denkprozessen
Einbettung in einen religiösen/spirituellen/philosophischen Kontext
Erfahrung geistiger Stille

    Lediglich das Kriterium »Selbstgesteuerte systematische Desensibilisierung« wurde mehrheitlich als unwichtig eingestuft. Bei der systematischen Desensibilisierung handelt es sich um eine verhaltenstherapeutische Technik zur Behandlung von Angststörungen, bei der Patienten schrittweise mit Angst auslösenden Reizen konfrontiert werden und lernen, gleichzeitig einen Entspannungszustand herbeizuführen, um ihre Angstreaktionen zu kontrollieren. Nur einer der Experten war der Ansicht, dass derartige Prozesse bei der Meditation eine wichtige Rolle spielen.
    Wie bewerten Sie diesen Versuch, zu einer Definition zu gelangen? Welche der genannten zehn Kriterien würden Sie selbst nach Ihrem Verständnis von Meditation als unwichtig, wichtig oder essentiell einstufen? Wenn Sie sich mit den einzelnen Kriterien auseinandersetzen: Empfinden Sie diese als hinreichend klar und eindeutig formuliert, oder sind sie Ihnen zu verschwommen und vielschichtig? Welche Begriffe tauchen in mehreren Kriterien auf und führen zu inhaltlichen Überschneidungen (Redundanz) ? Werden Aspekte, die Ihrer Meinung nach für Meditation wesentlich sind, bei den Kriterien vielleicht gar nicht berücksichtigt?
    Eine kritische Reflexion anhand dieser Fragen kann Ihnen helfen, Ihr Problembewusstsein zu schärfen und zu einer eigenen Definition zu gelangen; sie führt aber auch unmittelbar die Fragwürdigkeit dieses Ansatzes vor Augen. Obwohl die Konsensbildung anhand der Auszählung von Übereinstimmungen den Eindruck von Objektivität erweckt, ist das Verfahren in jeglicher Hinsicht durch Willkür und fehlende Transparenz geprägt. Dies betrifft die Auswahl der zehn Kriterien, der sieben Experten und der drei Urteilskategorien sowie die Anzahl der Befragungsrunden und die Festlegung, bei fünf von sieben gleichlautenden Urteilen von einem Konsens zu sprechen. Warum keine Mehrheitsentscheidung? Was führt die Experten dazu, ihre Urteile über die Runden hinweg zu verändern – Einsicht oder Gruppendruck? Wie steht es mit der Wiederholbarkeit?

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