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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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sich um die Puppe zu schaffen machten. »Da such ich mir Domínguez aus, einen schrecklichen Frauenhelden. Na, schön. Ich nehme Manulo, der trinkt, ja, aber er singt so süß wie ein Mädchen. Okay. Villanazul liest Bücher. Du, du wäschst dich hinter den Ohren. Aber was tu ich dann? Kann ich etwa warten? Nein, ich muß diesen Anzug sofort kaufen! Und der letzte, den ich mir aussuche, ist ein unbeholfener Schmierfink, und der hat nun das Recht, meinen Anzug zu tragen…« Er unterbrach sich verwirrt. »Er darf unseren Anzug einen Abend in der Woche tragen, er kann damit hinfallen oder im Regen damit herumlaufen! Warum hab ich das bloß gemacht?«
    »Gómez«, flüsterte Villanazul aus dem Zimmer. »Der Anzug ist da. Schau mal, ob er in deinem elektrischen Licht ebenfalls so gut aussieht.«
    Gómez und Martínez gingen hinein.
    Auf der Puppe mitten im Zimmer saß der phosphoreszierende, der wundersame, weißschimmernde Geist mit den atemberaubenden Rockaufschlägen, den präzisen Nadelstichen, den säuberlich genähten Knopflöchern. Martínez, der mit dem hellen Abglanz des Anzugs auf den Wangen dastand, fühlte sich plötzlich wie in einer Kirche. Welch ein Weiß! Weiß wie das weißeste Vanilleeis, wie die Milch morgens früh in den Flaschen im Flur der Mietshäuser. Weiß wie eine einsame Winterwolke spät in der Nacht am mondbeschienenen Himmel. Während sie ihn da so in der lauen Luft des Sommerabends betrachteten, sah man fast ihren Atem in der Luft. Als Martínez die Augen schloß, spürte er noch den Widerschein des Lichts auf seinen Lidern. Er wußte, welche Farbe seine Träume in dieser Nacht haben würden.
    »Weiß…«, murmelte Villanazul. »Weiß wie Schnee auf jenem Berg nahe unserer Stadt Mexiko, den man die Schlafende Frau nennt.«
    »Sag das noch mal«, bat Gómez.
    Villanazul, stolz, aber bescheiden, freute sich, seine Huldigung wiederholen zu können.
    »… weiß wie Schnee auf dem Berg, den…«
    »Da bin ich wieder!«
    Sie drehten sich erschrocken um und sahen Vamenos mit Weinflaschen in den Händen an der Tür.
    »Eine Party! Hier! Jetzt sag uns, wer den Anzug heute abend zuerst tragen soll! Ich?«
    »Es ist zu spät«, sagte Gómez.
    »Spät! Es ist erst Viertel nach neun!«
    »Spät?« wiederholten die anderen auffahrend. »Spät?«
    Gómez wich vor diesen Männern zurück, die von ihm zum Anzug und dann zum offenen Fenster sahen.
    Schließlich ist draußen, unten, ein schöner, sommerlicher Samstagabend, dachte Martínez, und durch die stille warme Dunkelheit treiben die Frauen dahin wie Blumen auf einem Strom. Die Männer beschwerten sich laut.
    »Ein Vorschlag, Gómez.« Villanazul leckte an seinem Bleistift und zeichnete eine Tabelle auf einen Notizblock. »Du trägst den Anzug von halb zehn bis zehn, Manulo bis halb elf, Domínguez bis elf, ich bis halb zwölf, Martínez bis Mitternacht und…«
    »Warum komme ich zuletzt dran?« fragte Vamenos finster.
    Martínez überlegte rasch und lächelte. »Nach Mitternacht ist die beste Zeit, mein Freund.«
    »He«, sagte Vamenos, »das stimmt. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Okay.«
    Gómez seufzte. »Na gut. Jeder eine halbe Stunde. Aber von nun an, vergeßt das nicht, wird jeder von uns den Anzug nur einen Abend in der Woche tragen. Am Sonntag wird durch das Los entschieden, wer ihn an diesem Extraabend trägt.«
    »Ich!« sagte Vamenos lachend. »Ich habe immer Glück!«
    Gómez hielt Martínez fest beim Arm.
    »Gómez«, drängte Martínez, »du zuerst. Zieh dich an.«
    Gómez konnte seinen Blick von dem schrecklichen Vamenos nicht abwenden. Endlich zog er sich mit einer heftigen Bewegung das Hemd über den Kopf. »Ayayay!« brüllte er. »Ayayay!«
     
     
    Ein Rascheln… das frische Hemd.
    »Ah…!«
    Wie sauber sich neue Sachen anfühlen, dachte Martínez, der das Jackett bereithielt. Wie sauber sie sich anhören, und wie frisch sie riechen!
    Ein Rascheln… die Hosen… die Krawatte, ein Rascheln… die Hosenträger. Rascheln… Martínez ließ das Jackett los, das genau auf die sich neigenden Schultern fiel.
    »Ole!«
    Gómez drehte sich wie ein Matador in dem herrlichen Anzug.
    »Ole, Gómez, ole!«
    Gómez machte eine Verbeugung und ging zur Tür.
     
     
    Martínez heftete den Blick auf seine Uhr. Um Punkt zehn hörte er jemand im Flur herumgehen, als hätte er vergessen, wohin er wollte. Martínez öffnete die Tür und schaute hinaus.
    Gómez steuerte blindlings ins Nichts hinein.
    Er sieht aus, als sei er krank, dachte

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