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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Limonadenbar säßen, in einem Drugstore, der so duftete, wie sie früher dufteten? Warum riechen Drugstores nicht mehr so? Und zwei Sarsaparillas für uns bestellten, Cora, und dann in unserem Ford 1910 zu Haunahans’ Pier hinüberführen, zu einem Abendessen im Séparée, und der Blaskapelle zuhörten? Wie wär’s?«
    »Das Essen ist fertig. Zieh diese scheußliche Uniform aus.«
    »Wenn du dir etwas wünschen und noch einmal auf den Eichenalleen langfahren könntest, so wie sie einst waren, bevor die Autos zu rasen anfingen, würdest du’s tun?« fuhr er eindringlich fort und beobachtete sie.
    »Die alten Wege waren schmutzig. Wenn wir nach Hause kamen, sahen wir aus wie Neger. Jedenfalls«, sie nahm eine Zuckerdose in die Hand und schüttelte sie, »heute morgen hatte ich hier vierzig Dollar drin. Jetzt sind sie fort! Sag bloß, du hast diese Sachen aus einem Kostümverleih. Sie sind nagelneu; die kommen nicht aus deiner Kiste!«
    »Ich bin…«, sagte er.
    Sie tobte eine halbe Stunde lang, aber er brachte es nicht über sich, etwas zu sagen. Der Novemberwind schlug gegen das Haus, und während sie noch sprach, fiel wieder Schnee vom stählernen Himmel.
    »Antworte mir!« schrie sie. »Bist du verrückt geworden, daß du dein Geld für so was ausgibst, für Kleider, die du nicht mal tragen kannst?«
    »Die Dachkammer…«, setzte er an.
    Sie ging hinaus und setzte sich ins Wohnzimmer.
    Der Schnee fiel jetzt schneller in den kalten Novemberabend. Sie hörte, wie ihr Mann langsam die Trittleiter zur Dachkammer hinaufstieg, zu jenem staubigen Raum vergangener Jahre, jenem schwarzen Raum voller Kostüme, Requisiten und voll Zeit, in eine andere, von dieser unteren getrennte Welt.
     
     
    Er schloß die Falltür. Die Taschenlampe war ihm Gesellschaft genug. Ja, hier fand er alle Zeit in eine japanische Papierblume zusammengepreßt. Wenn die Erinnerung sie berührte, würde sich alles im klaren Wasser seiner Gedanken entfalten, in schönen Blüten, in leichten Frühlingswinden, überlebensgroß. Jede Schreibtischschublade, die er herauszog, konnte in weißen Staub gehüllte Tanten, Vettern und Großmütter enthalten. Ja, die Zeit war hier. Man fühlte sie atmen, eine atmosphärische anstatt einer mechanischen Uhr.
    Jetzt war das Haus unten so weit fort wie irgendein Tag der Vergangenheit. Er schaute sich in der wartenden Dachkammer nach allen Seiten um.
    Hier im irisierenden Glas der Kronleuchter schimmerten Regenbögen, Morgen und Mittage hell wie frische Bäche, die unaufhörlich durch die Zeit zurückflossen. Das zuckende Licht seiner Taschenlampe fing sie ein und weckte sie, die Regenbögen sprangen auf und drängten die Schatten mit Farben zurück, mit Farben wie Pflaumen, Erdbeeren und Trauben, mit Farben wie Zitronen und wie der Himmel, wenn nach dem Sturm die Wolken fortziehen und das Blau wieder hervorkommt. Und der Staub der Dachkammer war brennender Weihrauch und brennende Zeit, und man brauchte nur in die Flammen zu schauen. Sie war wirklich eine große Zeitmaschine, diese Dachkammer, das wußte und fühlte er, und wenn man hier einige Prismen und dort ein paar Türgriffe berührte, an ein paar Quasten zupfte, Kristalle erklingen ließ, Staub aufwirbelte, an die Schließhaken der Kisten schlug und die menschliche Stimme der alten Ofenrohre hervorrief, bis sie ihm den Ruß von tausend vergangenen Feuern in die Augen streuten, ja, wenn man auf diesem Instrument spielte, auf dieser Maschine aus Einzelteilen, wenn man über all seine Stücke, seine Hebel, Schaltungen und Auslöser strich, dann…
    Er streckte die Hände aus, um mit weit ausholenden Bewegungen Einsätze zu geben und zu dirigieren. In seinem Kopf, in seinem festgeschlossenen Mund war Musik, und er spielte auf der großen Maschine, der dröhnend stillen Orgel, Baß, Tenor, Sopran, leise und laut, und endlich einen Akkord, der in ihm nachzitterte, so daß er die Augen schließen mußte.
    Um neun Uhr abends hörte sie ihn rufen: »Cora!« Sie ging hinauf. Er blickte lächelnd von oben auf sie herab. Er schwenkte den Hut. »Leb wohl, Cora.«
    »Was soll das heißen?« schrie sie.
    »Ich habe es mir drei Tage lang überlegt, und ich sage Leb wohl.«
    »Komm herunter, du Dummkopf!«
    »Ich habe gestern fünfhundert Dollar von der Bank abgehoben. Ich hatte schon lange daran gedacht. Und dann, als es eintrat, da… Cora…« Er streckte ungeduldig die Hand aus. »Zum letzten Mal, willst du mitkommen?«
    »In die Dachstube? Laß die Trittleiter

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