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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Gesicht war unbeweglich, mit blinden, starren Augen nach Osten gewandt. Er sah aus, als sei er hundert Jahre alt.
    Ich beugte mich, plötzlich selbst gealtert, weiter vor.
    Jetzt stand die Dunkelheit, die uns zusammengeführt hatte, zwischen uns. Der Alte, der Bahnhof, die Stadt, der Wald waren in der Nacht verschwunden.
    Eine Stunde lang stand ich im dröhnenden Luftstrom und blickte zurück auf all das Dunkel.

 
Der Duft von Sarsaparilla
     
     
     
    William Finch stand drei Tage lang morgens und nachmittags unbeweglich in der dunklen, zugigen Dachkammer. Drei Tage stand er im späten November allein, spürte, wie die weichen weißen Flocken der Zeit still und langsam aus dem endlosen stählernen Himmel fielen und das Dach mit Flaum und die Dachrinnen mit Puder bedeckten. Er stand mit geschlossenen Augen da. Die Dachkammer, um die während der langen sonnenlosen Tage der Wind brauste, krachte in allen Fugen, so daß von Balken, verzogenen Brettern und Lattenwerk uralter Staub geschüttelt wurde. Seufzer und Qualen regten sich überall um ihn her, während er den Duft des vornehmen herben Parfüms einsog und die alten Erbstücke in der Kammer befühlte. Ah, ah.
    Seine Frau Cora, die unten lauschte, hörte nicht, wie er hin und her ging. Sie bildete sich ein, daß sie ihn nur langsam aus- und einatmen hörte, wie einen staubigen Blasebalg, allein hoch oben in der Dachkammer im windigen Haus.
    »Lächerlich«, murmelte sie.
    Als er am dritten Tag zum Mittagessen hinuntereilte, lächelte er den kahlen Wänden, den abgestoßenen Tellern, dem zerkratzten Silberbesteck und sogar seiner Frau zu.
    »Was soll das alles?« fragte sie.
    »Ich bin guter Laune, sonst nichts. In großartiger Laune!« Er lachte. Er schien vor Freude fast hysterisch. Er kochte vor Erregung, die er offensichtlich nur mit Mühe verbergen konnte. Seine Frau runzelte die Stirn.
    »Wonach riecht es hier?«
    »Riechen, wieso?«
    »Nach Sarsaparilla.« Sie schnupperte mißtrauisch. »Das ist es!«
    »Das kann nicht sein!« Seine hysterische Fröhlichkeit war so schnell verflogen, als hätte seine Frau sie abgeschaltet. Er wirkte bestürzt, unruhig und plötzlich sehr vorsichtig.
    »Wohin bist du heute morgen gegangen?« fragte sie.
    »Du weißt doch, daß ich die Dachkammer gereinigt habe.«
    »Da vertrödelst du deine Zeit mit einem Haufen altem Krempel. Ich habe nicht einen Laut gehört und dachte, vielleicht ist er überhaupt nicht in der Dachkammer. Was ist das?« Sie zeigte an ihm hinunter.
    »Nanu, wie kommen denn die hierher?« fragte er mit unschuldiger Miene.
    Er blickte auf ein Paar metallene Fahrradklammern, die seine dünnen Hosenaufschläge an seinen mageren Knöcheln befestigten. »Die habe ich in der Dachkammer gefunden«, beantwortete er seine eigene Frage. »Erinnerst du dich noch, Cora, wie wir vor vierzig Jahren frühmorgens mit unserem Tandem auf dem Kiesweg hinausfuhren, und alles war so neu und frisch?«
    »Wenn du die Dachkammer heute nicht fertig machst, gehe ich selbst hinauf und werfe alles hinaus.«
    »O nein«, rief er. »Es muß alles genauso bleiben, wie ich es haben will.«
    Sie sah ihn kalt an.
    »Cora«, sagte er, während er sich beim Essen entspannte und von neuem in Entzücken geriet. »Weißt du, was diese Dachkammern sind? Es sind Zeitmaschinen, in denen alte Trottel wie ich vierzig Jahre zurückreisen können, in eine Zeit, als das ganze Jahr lang Sommer war und die Kinder Eiswagen plünderten. Weißt du noch, wie das Eis schmeckte? Du hieltest es in deinem Taschentuch. Es war, als lutschte man gleichzeitig Schnee und das Aroma des Leinens.«
    Cora zappelte nervös.
    Es ist nicht unmöglich, dachte er mit halbgeschlossenen Augen und versuchte, es zu sehen und zu bedenken. Stell dir eine Dachkammer vor. Ihre eigentliche Atmosphäre ist ja die Zeit. Sie birgt vergangene Jahre, Kokons und Insektenpuppen eines vergangenen Zeitalters. Alle Schreibtischschubladen sind kleine Särge, in denen tausend Gestern zur Schau gestellt werden. O ja, die Dachkammer ist ein dunkler, freundlicher Ort voll Zeit, und wenn man genau in der Mitte steht, aufrecht und groß, und die Augen wandern läßt und nachdenkt, die Vergangenheit riecht und die Hände ausstreckt, um das Einst zu berühren, dann…
    Er hielt inne, denn er bemerkte, daß er einige Gedanken laut ausgesprochen hatte. Cora aß hastig.
    »Wäre es nicht interessant«, fragte er mit einem Blick auf ihren Scheitel, »wenn man wirklich in die Zeit reisen könnte? Und welcher

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