Medizin für Melancholie
die leichten Daunen auf seinen eigenen Schultern kräuselten sich zitternd, als er die Flügel sah und die Klippe hinter ihnen.
»Vater, wie ist der Wind?«
»Stark genug für mich, aber nicht für dich…«
»Sei unbesorgt, Vater. Die Flügel scheinen jetzt plump, aber meine Knochen unter den Federn werden sie stark und mein Blut wird das Wachs lebendig machen!«
»Mein Blut und meine Knochen auch, vergiß das nicht; jeder Mann gibt seinen Kindern sein Fleisch und möchte, daß sie es bewahren. Versprich mir, daß du nicht zu hoch fliegst, Ikaros. Die Sonne oder mein Sohn – die Hitze der einen, das Fieber des anderen – könnten diese Flügel schmelzen. Paß auf!«
Und sie trugen die prächtigen goldenen Flügel in den Morgen hinaus und hörten sie in ihren Armen flüstern, seinen Namen oder irgendeinen Namen, der wirbelnd davonwehte und sich wie eine Feder auf dem leichten Wind niederließ.
Montgolfier.
Seine Hände berührten das glühende Seil, das helle Leinen, den gestickten Faden, heiß wie der Sommer. Seine Hände warfen Wolle und Stroh in eine atmende Flamme.
Montgolfier.
Sein Auge folgte diesem Wogen und Schwellen, diesem Auf und Ab wie Meereswellen, dieser leichtbewegten, silbernen Birne, die sich mit den flimmernden, von der Flamme hinaufgetriebenen Gasen füllte. Bald würde sich die zarte Leinenhülle, der aufgeblähte Sack voll ofenheißer Luft still wie ein schlummernd über die Erde Frankreichs geneigter Gott losreißen. Er und sein Bruder würden im Geiste, aufgehoben zu blauen Welten des Schweigens, mit ihm segeln, stumm, heiter, zwischen Wolkeninseln, in denen ungezähmte Blitze schliefen. Der Ballon würde schweigend in jenen auf keiner Karte eingezeichneten Golf und Abgrund hinabgleiten, wo ihn kein Vogelgesang und Menschenruf erreichen konnte. So dem Schicksal preisgegeben, konnten er, Montgolfier, und alle Menschen vielleicht die unermeßlichen Atemzüge Gottes und den feierlichen Gang der Ewigkeit hören.
»Ah…« Er regte sich, die Menschenmenge regte sich im Schatten der Ballons. »Alles ist richtig. Alles ist bereit.«
Bereit. Seine Lippen zuckten im Traum. Fertig. Ein Zischen, ein Flüstern, ein Flattern und Rauschen. Bereit.
Aus den Händen seines Vaters sprang ein Spielzeug an die Decke, wirbelnd in seinem eigenen Luftsprung, wie aufgehängt, während er und sein Bruder hinaufstarrten und es flimmern sahen und hörten, wie es rauschte und zischte und ihre Namen murmelte.
Wright.
Ein Flüstern: Wind, Himmel, Wolke, Raum, Flügel, flieg…
»Wilbur, Orville? Sieh, was ist das?«
Ah. Er seufzte im Schlaf.
Der Spielzeughubschrauber summte, stieß an die Decke, murmelte Adler, Rabe, Sperling, Drossel, Habicht; flüsterte Adler, Rabe, Sperling, Drossel, Habicht. Flüsterte Adler, flüsterte Rabe und flatterte schließlich surrend, rauschend in Winden künftiger Sommer, ein letztes Mal schwirrend und sich blähend hinunter und flüsterte Habicht.
Er lächelte im Traum.
Er sah, wie sich die Wolken vom Himmel der Ägäis rasch senkten.
Er spürte, wie der Ballon trunken schwankte, bereit für den frei wehenden Wind.
Er spürte, wie der Sand von der Atlantikküste aufwirbelte, von den sanften Dünen, die ihn vielleicht retten konnten, falls er, ein kaum flügger Vogel, fallen sollte. Die Verstrebungen des Gestells summten, Harfenakkorde klangen auf, und er selbst war in dieser Musik wie eingefangen.
Er spürte, wie das aufgeladene Raumschiff hinter seinem Zimmer über das öde Feld glitt, die Feuerflügel gefaltet, den Feueratem angehalten, bereit, für drei Milliarden Menschen zu sprechen. Einen Augenblick später würde er erwachen und langsam zu diesem Raumschiff hinübergehen.
Und am Rand der Klippe stehen.
Kühl im Schatten des Ballons.
Vom Flutsand gepeitscht, der über Kitty Hawk aufgewirbelt wurde.
Und die Handgelenke, die Arme, Hände und Finger seines Sohnes mit goldenen Flügeln in goldenem Wachs umhüllen.
Und zum letzten Mal den eingefangenen Atem der Menschen, den Seufzer der Ehrfurcht und des Staunens berühren, eingeblasen und eingenäht, um ihre Träume emporzuheben.
Und den Benzinmotor zünden.
Und die Hand seines Vaters fassen und auch ihm Glück wünschen, für den Flug, die Flügel zurückgelegt und bereit, hier über dem Abgrund.
Dann die Flügel bewegen und springen.
Dann die Seile zerschneiden, um den großen Ball freizulassen.
Dann den Motor hochjagen, das Flugzeug auf Luft aufbocken.
Und den Knopf drücken, um die Rakete zu
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