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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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kalter Hass in ihr aufstieg. Sie würde dem Ganzen einen Sinn geben. Sie würde all dem ein Ende setzen, hier und jetzt.
    In diesem Augenblick brandete dumpfer Donner auf. Es war ein Laut, der perfekt zu dieser endzeitlichen Situation passte, und für einen Moment lang glaubte sie, sie bilde ihn sich nur ein. Als sie aber die Verwirrung in den Gesichtern der anderen bemerkte, erkannte sie, dass dieser Donner real war. Und mit einem Mal wurde ihr klar, dass die Erschütterung keineswegs ein Erdbeben gewesen war, wie sie zunächst angenommen hatte, und das, was sie jetzt hörte, auch kein Donner. Es war die Sprengung des Tunnels und deren Nachhall, der sich in den Tiefen des Tamgak verlor. Durand kam!
    Immer lauter wurde das Grollen, es wogte durch die Höhle, wurde hin und her geworfen und steigerte sich zu einem infernalischen Getöse. Das war ihre Chance. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, trat sie Patrick in den Unterleib. Er stieß einen dumpfen Schmerzenslaut aus, verdrehte die Augen und klappte zusammen. Die Tasche entglitt ihm, doch das Gewehr blieb fest verkrallt in seiner Hand. Noch immer rollte der Donner durch die Höhle, und noch immer blickten Malcolm und Irene sich gehetzt nach allen Seiten um. Im grünlichen Dämmerlicht schienen sie noch nicht bemerkt zu haben, dass sich das Blatt zu Hannahs Gunsten gewendet hatte. Sie musste ihre Chance nutzen, denn sie fühlte, dass sie keine zweite bekommen würde. Mit einer geschmeidigen Bewegung rollte sie sich von Gregoris leblosem Körper herunter, griff nach der Tasche und rannte um ihr Leben. Sie spürte den Wind in ihrem Haar und den Boden unter ihren Füßen, während sie den Hügel hinabflog. Sie rannte, wie sie noch nie zuvor in ihrem Leben gerannt war, über den Deich, an den Ufersteinen vorüber und hinein in die Dunkelheit. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie ihre Gefühle nicht mehr länger zurückhalten konnte. Und endlich bahnten sich die Tränen ihren Weg.

23
    Oberst Durand betrat die Eingangshöhle und sah sich um. Er war zwar nur ein interessierter Laie, doch er spürte, dass das, was er hier erlebte, Geschichte atmete. Der Raum war mit Bildern gefüllt, wie er sie noch nie gesehen hatte. Bilder von unvergleichlicher Schönheit und Ausdruckskraft. Gewiss, er kannte viele Darstellungen aus dem Aïr , Jagdszenen, Dorfgemeinschaften und Tierbilder, doch angesichts der hier gezeigten Meisterschaft verblassten sie zu Fußnoten der Archäologie. Er schwor sich, sein Wissen nach erfolgreicher Beendigung der Mission aufzufrischen. Natürlich nur, soweit es sein Dienstplan erlaubte.
    Was ihn wieder zum Tagesgeschäft zurückkehren ließ, waren die zwei Beine, die vor ihm wie abgenickte Streichhölzer aus dem Boden ragten. Er hatte schon viele Tote und Verwundete in seinem Leben gesehen, aber dieser Anblick war ausgesprochen widerwärtig. Er befahl seinen Männern, sich im Moment noch zurückzuhalten. Erst musste er sich ein Bild von der Lage machen. Die Spuren im Sand, der umgeworfene Gaskocher sowie das zertretene Lagerfeuer deuteten darauf hin, dass hier ein Kampf stattgefunden hatte. Das wiederum setzte voraus, dass mindestens zwei Personen hier gewesen sein mussten, wobei es sich bei der einen mit großer Wahrscheinlichkeit um Albert Beck gehandelt hatte. Die zweite Person war diejenige, die Durand Kopfzerbrechen bereitete. Wer konnte zusammen mit Beck als Letzter hier gewesen sein? Warum war es zwischen den beiden zum Streit gekommen? Oberst Durand ging auf und ab und rekapitulierte die Geschehnisse in Gedanken. Hatte die zweite Person herausbekommen, dass Beck ein doppeltes Spiel spielte? Sehr wahrscheinlich. Das wäre jedenfalls ein Grund für einen handfesten Streit.
    Doch warum hatte Beck diese zweite Person überhaupt hierher mitgenommen, warum hatte er seinen Handstreich nicht in aller Heimlichkeit vollzogen? Es gab nur eine Erklärung dafür. Beck war davon überzeugt, von dieser Person nichts befürchten zu müssen. Der Oberst straffte sich, als er die Lösung erriet. Es war ein Gefangener.
    Mit einem Mal lag die Geschichte offen wie ein Buch vor ihm. Es war John Evans, alias Chris Carter. So musste es sein. Das Team hatte seine Identität aufgedeckt und wollte ihn in sicheren Gewahrsam bringen. Mit Sicherheit war er gefesselt oder anderweitig unschädlich gemacht worden. Die Frage war nur, ob und wie es Carter gelungen war, sich zu befreien. Die Antwort musste irgendwo hier verborgen liegen.
    Durand ging zur Feuerstelle und

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