Medusa
unterirdischen Labyrinth endlich entkommen zu können, dass ihm der Gedanke, so kurz vor dem Ziel aufzugeben, widerstrebte. »Glaubst du wirklich, wir sollten es nicht wenigstens versuchen? Vielleicht irrst du dich, und auf der anderen Seite ist nur ein Bach.«
Abdu schüttelte entschieden den Kopf. »Mit Wasser kenne ich mich aus, wie jeder Tuareg. Das ist lebenswichtig in der Wüste«, bemerkte er, nicht ohne einen gewissen Stolz in seiner Stimme. »Es gibt nur wenige tiefe Wasserlöcher in der Sahara. Ich sage dir, da drüben ist ein halber Ozean. Wenn du die Tür öffnest, werden wir alle sterben.«
»Verdammt sollst du sein«, murmelte Chris, mehr an sich selbst gerichtet als an Abdu. »Sterben werden wir so oder so. Das ist unsere letzte Chance, hier herauszukommen. Es gibt keinen anderen Weg.«
In diesem Augenblick hörte er Schritte. Gleichzeitig drang ein Laut an sein Ohr, als ob jemand weinte. Er fuhr herum und sah Hannah aus dem Gang treten, mit einem Ausdruck im Gesicht, der ihn zusammenfahren ließ. Sie schien am Ende ihrer Kräfte zu sein. Abdu sprang zu ihr und stützte sie. Er wollte ihr die Wasserflasche reichen, doch sie schüttelte den Kopf und deutete auf den Gang, aus dem sie gerade gekommen war.
»Keine Zeit, keine Zeit«, keuchte sie. »Sie kommen. Sie sind vollkommen verrückt geworden. Sie wollen uns töten, und sie wollen das hier.«
Damit deutete sie auf ihre Ledertasche, auf der sich eine auffallende Wölbung abzeichnete. Chris begriff sofort, wovon sie sprach. »Großer Gott, du hast ihn«, brach es aus ihm heraus. »Du hast den verdammten Stein.«
Sie nickte, und ein Schatten verdunkelte ihr Gesicht. »Ja, ich habe ihn. Aber um welchen Preis.« Sie verbarg ihr Gesicht hinter den Händen, und ein Zittern lief über ihren Körper.
Chris blickte in die Dunkelheit des Stollens und ahnte, wovon sie sprach. »Wo ist Gregori?«, stammelte er. »Ist er …?«
Hannah richtete sich auf, wischte sich mit dem fleckigen Ärmel übers Gesicht und bedachte ihn mit einem Blick, der mehr sagte als tausend Worte. »Habt ihr irgendetwas über den Öffnungsmechanismus herausgefunden? Wenn ja, dann wäre jetzt der richtige Moment, mir davon zu berichten.«
»Allerdings!« Chris trat neben sie und erzählte von dem Klangstein, den fünf Tönen und Abdus Warnung.
»Eine Tonfolge«, murmelte sie. »Ja, das macht Sinn.« Sie blickte ihn mit durchdringenden Augen an. »Tu es!«, sagte sie.
»Hast du nicht gehört, was Abdu gesagt hat? Er meint, dass sich ein ganzer See auf der anderen Seite befindet. Das Wasser wird uns wegspülen wie die Fliegen. Wir dürfen die Tür nicht öffnen.«
In diesem Moment drang das Poltern von Schritten aus dem Stollen. Abdu, der über das beste Gehör verfügte, eilte zur Öffnung und lauschte. Sein Blick verhieß nichts Gutes. Im Nu war Hannah bei ihm. Sie wechselten einen kurzen Blick, dann wandte sie sich an Chris.
»Schwere Militärstiefel, und zwar viele!« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Der Oberst hat uns gefunden. Öffne die Pforte, verdammt noch mal, oder wir werden alle sterben!«
Chris hob die Hände. »Nur keine Panik. Es können genauso gut Leute von unserem Team sein. Ehe wir nichts Genaues wissen, werde ich gar nichts tun.«
In diesem Augenblick trat eine Person in den Lichtschein der Gaslampe. Es war Irene. Sie lächelte freundlich, während sie langsam, Schritt für Schritt, näher kam.
»Na siehst du«, seufzte er erleichtert in Hannahs Richtung. Doch da bemerkte er einen Schatten, der schräg hinter Irene auftauchte. Der Schatten bewegte sich, und für einen kurzen Moment sah Chris etwas aufblitzen. Die Mündung einer Waffe.
»Deckung«, rief er. Im selben Augenblick blitzte eine Pistole auf, und mehrere Schüsse wurden abgefeuert. Donnerndes Krachen hallte von den Wänden wider. Chris zögerte keine Sekunde. Er hechtete hinter die Skulptur und begann die Schlangenarme in Schwingung zu versetzen. Wie durch einen Filter registrierte er, was sich am Rande seines Gesichtsfeldes abspielte. Abdu war aufgesprungen, zog sein Messer und stellte sich schützend vor Hannah. Ein weiterer Schuss krachte, und sein Körper sackte zusammen. Hannah schrie auf und ließ sich über den Körper ihres Freundes fallen. Ein Schatten löste sich aus dem Gang und trat ins Licht. Es war Oberst François Philippe Durand.
Hannah wich langsam vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. »Bleiben Sie stehen«, fauchte sie. »Keinen Schritt
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