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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Prellungen und mindestens eine gebrochene Rippe. Dazu ein zertrümmertes Schlüsselbein. Sein Kopf hatte wundersamerweise nichts abbekommen. Wohl deshalb hatte er das Ganze überlebt.
    Von der Mannschaft, die ihn begleitet hatte, war nichts zu sehen. Er wankte zurück zu der Kammer, in der das Verhängnis seinen Lauf genommen hatte. Die Medusenstatue war in das graue Licht gehüllt, das der wolkenverhangene Himmel durch die Deckenöffnung in die Höhle warf. Nach wenigen Augenblicken erkannte Durand, dass sich wie von Zauberhand eine Treppe herabgesenkt hatte, die an die Oberfläche zu führen schien. Von Carter und Peters war keine Spur zu entdecken. Was sollte er jetzt tun? Die Verfolgung aufnehmen oder ins Fort zurückkehren und Verstärkung holen?
    Das Stechen in Brust und Schulter bewog ihn, seine Männer zu sammeln und sich dann zurückzuziehen. Sollten Carter und Peters noch am Leben sein, so würden sie ohnehin nicht weit kommen.
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht taumelte er zurück in den dunklen Gang und machte sich auf den Weg zum Tempel.
     
    Der Anblick ihres toten Assistenten umnebelte Hannahs Gedanken, und sie hörte Chris erst rufen, als es schon fast zu spät war. »Halt die Luft an!«, schrie er, dann wurde sie von einer eisigen Kraft umschlungen. Der Druck quetschte ihr die Seele aus dem Leib. Die Fluten tobten und gurgelten, zerrten und zogen an ihr. Nur der feste Griff von Chris bewahrte sie davor, in die Dunkelheit davonzugleiten. Sie öffnete die Augen und sah das Wasser um sich herum brodeln. Das Gesicht der Medusa war von tanzenden Blasen umgeben und wirkte auf eine merkwürdige Art lebendig. Hannah erkannte, dass sie sich geirrt hatte. Auf dem Gesicht war kein höhnisches Grinsen zu sehen. Es war ein Lächeln. Ein Lächeln, das ein Geheimnis verbarg. Mit Bedauern stellte sie fest, dass sie dieses Geheimnis nun nie lüften würde, und schloss die Augen.
    Plötzlich war die Schwerkraft wieder da. Sie spürte, wie der Eisriese ihren Körper zu Boden schleuderte. Die Fluten klatschten wütend gegen die Wände der Höhle.
    Sie keuchte und hustete, während sie versuchte, ihre schmerzenden Lungen mit Luft zu füllen. Mit jedem Atemzug entfernte sie sich mehr vom Eingang zum Totenreich, wo sie eben noch mit einem Bein gestanden hatte.
    Als sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, blickte sie sich um. Sie lag zu Füßen der Medusenstatue, über der graue, schwere Wolken dahinzogen. Über ihrem Kopf, zwischen all den verdrehten Schlangen, hing Chris wie ein Stück Treibgut. Er hustete sich die Seele aus dem Leib. Hannah sprang auf und half ihm von seinem dornigen Thron. Er war schwach und ausgemergelt.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie ihn.
    Mehr als ein schmales Lächeln brachte er nicht zustande, doch signalisierte er ihr mit seinem Daumen, dass er o.k. war. Sie nahm sein tropfnasses Gesicht in ihre Hände und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
    »Sieh nur, Wolken«, murmelte sie, während sie ihn zu der Steinplatte führte, die sich unter dem Druck des Wassers wie eine Falltür geöffnet hatte und ihnen nun den Weg in die Freiheit wies. Ohne zu zögern, packte Hannah ihren erschöpften Begleiter und zog ihn hinauf an die frische Luft. Oben angekommen, schloss sie für einen kurzen Moment die Augen, um das Licht auf ihrem Gesicht und den Wind in ihrem Haar zu spüren. Wie lange hatte sie sich nach diesem Moment gesehnt. Die Hoffnungslosigkeit der letzten Tage und Stunden begann zu verblassen, und sie spürte, wie neuer Mut und neue Zuversicht sie erfüllten. Sie waren so weit gekommen, und nun würden sie auch noch das letzte Stück des Weges bewältigen.
     
    Oberst Durand war noch nicht weit gegangen, als er in einer Biegung auf ein grausiges Knäuel menschlicher Leiber stieß, darunter mindestens drei seiner Leute. Die Uniformen hingen in Fetzen von ihren geschundenen Leibern, die Waffen waren bizarr verbogen. Mit zusammengepressten Lippen begann er die Körper auseinander zu ziehen und zu untersuchen. Er identifizierte Malcolm Neadry und Patrick Flannery, die in einer furchterfüllten Umarmung nebeneinander lagen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und mit ihren schmerzverzerrten Gesichtern boten sie einen bemitleidenswerten Anblick. Doch sie brauchten kein Mitleid mehr. Sie waren so tot wie das Geröll, auf dem sie lagen. Hier war nichts mehr zu retten. Ohne es sich eingestehen zu wollen, empfand Durand Bedauern. Ob sich die beiden zu Beginn ihrer Reise wohl ein solch dramatisches Ende

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