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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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ausgemalt hatten? Sicher nicht. Wenn die Jagd zu Ende war, würde er zurückkehren, um ihre Leichen zu bergen und ihnen ein ordentliches Begräbnis zu bereiten. Aber keinen Augenblick früher. Irene Clairmont befand sich nicht unter den Toten. Hatte sie überlebt?
    Plötzlich drang ein menschliches Lebenszeichen an sein Ohr, ein Stöhnen oder Seufzen, und es stammte ganz eindeutig von einer Frau. Durands scharfe Augen durchdrangen das Dämmerlicht und entdeckten einen zusammengerollten Körper unterhalb eines Felsvorsprungs in der nächsten Kehre. Das musste Irene sein. Er eilte zu ihr in der Hoffnung, dass sie einigermaßen ungeschoren davongekommen war. Er hatte jetzt keine Zeit für Krankentransporte.
    Doch seine Sorgen waren unberechtigt. Die Journalistin richtete sich auf, und nachdem sie einen Liter Wasser von sich gegeben hatte, blickte sie ihn erstaunt an. Sie schien gar nicht begriffen zu haben, was geschehen war.
    »Kommen Sie.« Durand half ihr auf die Beine. »Versuchen Sie zu stehen.«
    Irene kam wackelig auf die Beine. Wie durch ein Wunder war sie unverletzt. Keine Brüche, keine Abschürfungen, keine Prellungen. Als hätte ein Schutzengel über sie gewacht. Sie hustete noch einen letzten Rest Wasser aus der Lunge und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Wo ist der Stein?«, keuchte sie.
    »Der Stein?« Durands Augen verengten sich. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit, dass ihr erster Gedanke dem verdammten Meteoriten gelten würde. Seltsam. Er erinnerte sich daran, wie er Neadry, Flannery und Clairmont vor zwei Stunden in der Höhle begegnet war. Schon da hatten sie sich sonderbar verhalten und von einer dreigeteilten Göttin, einem Auge und ähnlichem Unsinn gesprochen. Es hatte eine Weile gedauert, bis ihm klar geworden war, dass sie damit den Stein meinten.
    Er blickte Irene von der Seite an. Selbst jetzt, nachdem so viel geschehen war, galt ihr einziger Gedanke dem Meteoriten. Was war das für ein Objekt, dass Menschen sich unter seinem Einfluss so veränderten? Er erinnerte sich noch gut an die forsche, selbstbewusste Frau, die sein Fort betreten hatte. An ihre klaren Augen, ihr freundliches Lächeln und ihre offene, herzliche Art. Durand begann sich ernsthaft Sorgen darüber zu machen, was wohl geschehen würde, wenn er den Stein in die Finger bekam. Würde er ihn wieder loslassen können? Oder würde er sich ebenso verändern wie diese Menschen? War das möglich? Konnte ein bestimmtes Material so viel Macht besitzen? Naumann hatte kein Sterbenswörtchen darüber verlauten lassen, nur, dass es sich um Materie aus dem All handelte. Zum ersten Mal in seinem Leben fragte sich Durand, ob es nicht klüger gewesen wäre, den Auftrag abzulehnen.
    Doch dafür war es jetzt zu spät. »Kommen Sie, wir müssen zurück. Carter und Peters sind mit dem Stein entwischt. Weit können sie noch nicht gekommen sein. Wir werden so bald wie möglich die Verfolgung aufnehmen. Wenn Sie möchten, können Sie mir dabei helfen.« Er beobachtete sie. »Natürlich nur, wenn Sie wollen.«
    Sie nickte.
    »Dann soll es so sein. Folgen Sie mir.« Ungelenk wandte er sich um und humpelte zurück in die Dunkelheit.
     
    Hannah blickte sich in dem steinernen Becken, auf dessen Grund sie nun standen, um. Endlich wieder den Himmel sehen, endlich wieder frische, unverbrauchte Luft atmen. Sie fühlte, wie ein schwerer Druck von ihrer Brust wich, fühlte, wie ihr mit jedem Schritt leichter ums Herz wurde, obwohl das Wetter für voreiligen Optimismus wenig Platz ließ. Regenwolken zogen über ihre Köpfe hinweg, und ein kräftiger Wind blies ihnen den Sand ins Gesicht.
    Sie betrachtete die umliegenden Felszinnen und stockte. »Ich glaube, mich trifft der Schlag«, sagte sie. »Sieh dir das an, Chris. Bin ich jetzt vollkommen verrückt geworden, oder waren wir schon mal hier?«
    Chris brauchte etwas länger, bis er sich orientiert hatte, doch dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Wortlos hob er den Arm und deutete auf ein Medusengesicht, das an der Schmalseite des Beckens in den Stein gemeißelt war. Hannah erkannte die vertrauten Züge. »Großer Gott«, murmelte sie.
    »Es ist das Becken, in dem du und ich an unserem ersten Tag geschwommen sind, erinnerst du dich? Sieh nur, der Fels ist bis zum oberen Rand dunkel gefärbt. Bis dahin hat das Wasser gestanden.«
    Chris nickte. »Der Medusenkopf war damals vollständig bedeckt, so dass ich ihn erst beim Tauchen entdeckt habe.«
    »Und die Stufen

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