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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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in ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Er band sich ebenfalls einen Mundschutz vors Gesicht, dann stieg er unter Ächzen und Schnaufen in den Sattel des wackeligen Wüstenschiffs und gab ihr ein Okay. Die Reise konnte beginnen.

26
    Das Fort erbebte unter der Wucht des Sturms. Der Wind zerrte und rüttelte mit unaufhörlichem Dröhnen an den Verschlägen, Flugsand schmirgelte an den Fensterscheiben entlang, Regen peitschte über den Hof, und schwere Wolken drückten auf das Land. Seit er hier stationiert war, hatte Durand noch kein solches Unwetter erlebt.
    Irene Clairmont saß zusammengesunken hinter dem riesigen Schreibtisch aus Zedernholz und starrte auf die Maserung. Der Tee in ihrer Tasse begann bereits kalt zu werden, und noch immer machte sie keine Anstalten, sich auf ein Gespräch einzulassen. Durand tastete nach seinen Verbänden, während er langsam die Hoffnung verlor, doch noch etwas über den Verbleib von Peters und Carter zu erfahren. Genauso gut hätte er versuchen können, einen Felsblock zum Sprechen zu bringen. Und dabei platzte er vor Neugier. Sie war der Schlüssel zu seinem Auftrag. Sie allein kannte das Geheimnis, das der Meteorit verbarg. Sie hatte ihn gefunden, berührt, Kontakt mit ihm gehabt.
    Er nahm einen letzten Schluck aus seiner Tasse, stellte sie auf die Ablage und setzte sich ihr gegenüber. Er wollte noch einen letzten Versuch wagen.
    »Wollen Sie mir davon erzählen?«, fragte er, sehr darauf bedacht, nicht in seinen üblichen Tonfall bei Verhören zu geraten.
    Irene fuhr mit dem Finger über die Tischplatte, wobei sie der Maserung des Holzes folgte. Sie schien in Gedanken weit weg zu sein.
    »Ich bitte Sie, Irene, erzählen Sie es mir. Es ist wichtig.«
    Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht, während ihr Finger weiter die Maserung entlangglitt.
    »Sie würden es doch nicht verstehen«, murmelte sie.
    »Versuchen Sie es«, entgegnete der Oberst, froh darüber, endlich eine Reaktion zu erhalten. »Ich bin ein guter Zuhörer.«
    Irenes Finger kam zum Stillstand, und sie hob den Kopf.
    »Ich glaube nicht, dass Sie sich nur annähernd vorstellen können, was dieser Stein für mich bedeutet«, sagte sie mit einem herausfordernden Tonfall. »Es ist ein Gefühl, als würde man jemanden lieben, der einen besser kennt als man selbst. Es ist die vollkommene Erfüllung. Noch niemals habe ich mich so geborgen gefühlt.« Mit einem Seitenblick fügte sie hinzu:
    »Haben Sie schon einmal das Gefühl tiefer, reiner Liebe empfunden?«
    Durand schüttelte den Kopf.
    »Sehen Sie. Und darum hat es keinen Sinn, es Ihnen zu erklären.«
    »Und doch flehe ich Sie an, es zu versuchen. Ich möchte es verstehen. Irgendwie hängt alles mit diesem Stein zusammen. Bitte, Irene.«
    Sie sah ihn an und las in seinen Augen, dass er es ernst meinte.
    »Na schön«, seufzte sie, trank ihren Tee und begann ihm in allen Einzelheiten zu erzählen, was sich im Adrar Tamgak zugetragen hatte, bis hin zu dem Zeitpunkt, als Durand sie gefunden hatte. Es war ein langer Bericht, und nachdem sie ihn beendet hatte, war sie völlig ausgelaugt. Sie sackte in sich zusammen und richtete die Augen wieder auf die Tischplatte.
    Oberst Durand lehnte sich zurück, während er versuchte, sich einen Reim auf das soeben Gehörte zu machen. Zweifellos war Irene Clairmont immer noch nicht wieder bei Verstand. Bei ihren Schilderungen konnte es sich nur um suggestive Wahnvorstellungen halten. Andererseits machte sie rein äußerlich wieder einen klaren Eindruck. Trotzdem, die Geschichten waren zu abenteuerlich, als dass ein nüchterner Charakter wie Durand sie kritiklos akzeptieren konnte. Er ließ sich seine Skepsis indes nicht anmerken, um sie nicht wieder in ihr Schneckenhaus zu treiben, aber ein Stein, der einem Zukunft und Vergangenheit gleichermaßen zeigen konnte? Der Stein der Weisen, nach dem die Menschheit seit Anbeginn gesucht hatte und der das Wissen der Sterne beinhaltete? Dennoch – trotz aller begründeten Skepsis spürte er leichte Zweifel in sich aufkeimen. Was, wenn an der Geschichte doch etwas dran war? Was, wenn Naumann genau gewusst hatte, wonach sie hier suchten. Was, wenn er ihn, Oberst François Philippe Durand, als Versuchskaninchen benutzen wollte? Wenn er ehrlich war, so warf sein Standpunkt nichts als Fragen auf. Antworten hatte im Moment nur Irene zu bieten. War sie also doch glaubwürdig?
    Er versuchte, diese unangenehmen Gedanken abzuschütteln.
    »Es tut mir furchtbar Leid, was im Tamgak geschehen ist.

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