Medusa
erregend sah er aus, blass und ausgezehrt. Kaum lebendiger als der Sandhaufen, auf dem er saß. So würden sie es niemals schaffen. Es war aussichtslos, ihr fiel nichts mehr ein. Sie kniete sich neben ihn und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Er schenkte ihr ein müdes Lächeln, das jedoch nicht über seinen Zustand hinwegtäuschen konnte. Er war am Ende seiner Kräfte.
»Nun, meine Schöne«, murmelte er, »ich fürchte, mein Weg endet hier. Zu dumm. Ausgerechnet jetzt, wo wir es hätten schaffen können, mache ich schlapp. Aber das ist schon in Ordnung. Es gibt nur eine Sache, die ich wirklich bedaure, abgesehen von der Tatsache, dass es mit uns beiden nicht geklappt hat.« Er hustete, und seine Augen flackerten schwach, als würden sie in Kürze erlöschen.
»Es schmerzt, dass ich das Geheimnis des Kometenkerns nun niemals erfahren werde. Wenn ich, wie im Märchen, noch einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, dass du ihn berührst und siehst, was ich gesehen habe. Du könntest es schaffen, ihm sein Geheimnis zu entlocken, ich weiß es.«
Damit versank er in nachdenkliches Schweigen.
»Hör auf mit dem Geschwätz«, fuhr sie ihn an, heftiger, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. »Natürlich werde ich dich nicht hier zurücklassen, auch wenn dir das gerade gut ins Konzept passt. Warum ertrinkt ihr Männer nur immer in Selbstmitleid? Wie du mir, so ich dir, heißt es nicht so? Du hast mein Leben gerettet, und jetzt hab verdammt noch mal den Anstand, dir deines von mir retten zu lassen. Mir fällt schon etwas ein. Du bleibst hier sitzen und passt auf unsere Sachen auf, während ich losziehe und die Gegend erkunde. Ehrlich gesagt, ich habe keine genaue Vorstellung, wo wir uns gerade befinden, aber vielleicht entdecke ich ein Versteck, in dem wir uns für einige Stunden erholen können.«
Sie gab ihm einen aufmunternden Klaps und verschwand dann zwischen den Schatten der Berge, den Kopf voller Gedanken. Ihre Hand glitt über die Wölbung in ihrer Tasche. Was Chris gesagt hatte, stimmte. Irgendwann würde sie den Stein berühren müssen. Es gab keinen anderen Weg, ihm sein Geheimnis zu entlocken.
Die umliegenden Felsen waren in der sandgeschwängerten Luft nur als dunkelgraue Schemen zu erkennen, die sich wie riesenhafte Steinwesen über sie neigten. Obwohl ihr die Enge und Düsternis zu schaffen machten, empfand sie eine merkwürdige Vertrautheit. Anderen Menschen mochte es vorkommen, als sähe es hier überall gleich aus, aber Hannah hatte im Laufe der Jahre ein untrügliches Gespür für Felsformationen entwickelt. Im Tassili N’Ajjer hätte man sie an jeder beliebigen Stelle ohne Karte und ohne Kompass aussetzen können. Aufgrund der unterschiedlichen Felsformationen hätte sie trotzdem sofort gewusst, wo sie sich befand. Und dieses fotografische Gedächtnis sagte ihr, dass sie schon einmal hier gewesen war. Sie hielt inne und sah sich gründlich um. Die zwei Steintürme rechts und links von ihr kamen ihr selbst durch den dichten Staubvorhang bekannt vor. Richtig! Sie befand sich am Eingang des Canyons, den sie vor beinahe zwei Wochen erstmals betreten hatten, jene sichelförmige Schlucht, die den Adrar Tamgak von West nach Ost durchschnitt. Sie hatte den alten Weg gefunden. Ausgezeichnet! Von hier aus wusste sie genau, wie es weiterging. Sie hatte die Karten oft genug studiert, um sich im Umkreis von hundert Kilometern zurechtfinden zu können. Vor ihr, in etwa fünfzig Kilometern Entfernung, lag die Oase Iférouane. Dort lauerte der Feind. Sie mussten zusehen, dass sie so schnell wie möglich die Distanz zwischen sich und der Oase vergrößerten. Von ihrer derzeitigen Position aus erstreckte sich der bogenförmige Canyon etwa dreißig Kilometer nach Osten. Der Weg da hindurch war unproblematisch, denn sie konnten sich dabei durch einfaches Felsengelände bewegen und waren zudem vor Wind und Wetter geschützt. Hatten sie die Strecke erst geschafft, mussten sie noch einmal vierzig Kilometer durch die Ténéré zurücklegen. Das war die Strecke, vor der ihr graute. Da gab es nur Salzpfannen, Treibsandbecken und Ebenen voller messerscharfer Gesteinssplitter. Was die Ténéré einmal hat, gibt sie nicht wieder her, so lautete ein altes Sprichwort. Ein erfahrener und gesunder Forscher hätte die Distanz in zwei Tagen zurücklegen können, doch Chris war weder das eine noch das andere. Sie würde all ihr Können und all ihr Wissen aufbringen müssen, um ihn nicht zu verlieren.
Je länger
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