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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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waren Sandboden gewohnt. Sie waren nicht geschaffen für ein Gelände, das mit rund geschliffenen Granitkugeln übersät war.
    Ihr Wehklagen hallte von den Wänden wider.
    Chris starrte auf die schwarzen Wände, die auf beiden Seiten in den Himmel wuchsen. So musste sich Odysseus gefühlt haben, als er mit seinen Schiffen Skylla und Charybdis passierte. Fast erwartete Chris, den Kopf des legendären Ungeheuers über sich auftauchen zu sehen. Schaudernd wandte er sich ab.
    Hannah, die jetzt an der Spitze des Zuges ging, hob die Hand.
    »Seht mal da vorne«, rief sie und deutete auf eine Palme, in deren Krone sich Pflanzenmaterial verfangen hatte. Dahinter stand eine knorrige Akazie, die dieselbe Besonderheit aufwies.
    »Wasserstandsmarken«, fügte sie hinzu. »Treibgut, das sich bei der letzten großen Flutwelle dort oben verfangen hat.«
    Chris blieb die Luft weg. Die Pflanzenreste hingen in einer Höhe von fünf Metern! Was das bedeutete, war klar. Während der Regenzeit im Herbst und Frühjahr gingen hier offensichtlich gewaltige Gewitter nieder, deren Wassermassen sich sintflutartig in die ausgetrockneten Canyons ergossen. Dort stauten sie sich binnen Minuten zu einer Flutwelle auf, die sich, Geröll und Baumstämme mit sich reißend, einen Weg hinab in die Ebene bahnte. Es musste schrecklich sein, diesen Naturgewalten ausgesetzt zu sein. Chris hatte Berichte von Überlebenden gelesen, die beschrieben, wie sich das Unheil durch Bodenvibrationen und plötzlich aufkommenden Wind ankündigte. Wer dann nicht um sein Leben lief und sich in Sicherheit brachte, wurde gepackt, zermalmt und weggespült. Es hieß, in der Wüste kämen mehr Menschen durch Ertrinken ums Leben als durch Verdursten. Als Chris die Wasserstandsmarken erblickte, war er geneigt, diesen Geschichten Glauben zu schenken.
    »Alles in Ordnung? Weiter geht’s«, rief Hannah ihnen zu. Die Dromedare setzten ihren Weg fort, und fast augenblicklich setzte ihr Klagegebrüll wieder ein. Chris spürte die Anspannung, die auf der Gruppe lag. Abgesehen von dieser kleinen Unterbrechung, hatte seit Stunden niemand mehr ein Wort gesprochen. Selbst die Tuareg waren in Schweigen versunken. Sich inmitten dieses prähistorischen Glutofens aufzuhalten, schien auch sie zu bedrücken. Chris beschloss, dem Schweigen ein Ende zu machen. Er beschleunigte seinen Schritt und heftete sich an die Fersen des Geologen.
    »Gregori, warte auf mich.«
    Mit dem grunzenden Boucha im Schlepptau dauerte es einige Minuten, bis er zu seinem Vordermann aufgeschlossen hatte. »Dieses Gebirge ist auf eine seltsame Art unheimlich«, bemerkte er keuchend. »Ich weiß, dass sich solche Gefühle für einen Geologen nicht ziemen, aber empfindest du nicht auch so?«
    Die Augen des Griechen leuchteten. »Im Gegenteil. Dies ist ein Ort, wie du ihn in deinem ganzen Leben nie wieder sehen wirst. Es mag dir nicht bewusst sein, aber wir befinden uns hier im Nabel der Welt.«
    »Im Nabel der Welt? Das verstehe ich nicht.«
    »Sagt dir der Begriff Pangäa etwas?« Gregoris Frage war offenbar rein rhetorischer Natur, denn er lieferte sofort die passende Antwort. »So nennt man den Superkontinent, aus dem im Laufe der Jahrmillionen die heutigen Kontinente hervorgegangen sind. Asien, Europa, Nord- und Südamerika, Australien, die Antarktis und Afrika: Sie alle waren vor etwa dreihundert Millionen Jahren Teil einer kompakten Landmasse.«
    Chris nickte. »Ist mir bekannt. Und dann setzte die Kontinentaldrift ein und begann, die einzelnen Bruchstücke, unsere heutigen Kontinente, unkontrolliert auseinander zu schieben.«
    »Nicht unkontrolliert. Die Kontinentaldrift folgt einem ganz bestimmten Muster. Sie hat einen inneren Motor, den wir erst vor wenigen Jahren entdeckt haben. Tatsache ist, dass sich alle Kontinente von Afrika fortbewegen. Afrika ist das Zentrum, der Nabel, wenn du so willst, das Herz der alten Pangäa- Landmasse. Unter diesem riesigen Deckel, der wie eine isolierende Schaumstoffplatte wirkte, begann ein gewaltiger Konvektionsstrom aus dem Erdinneren in Gang zu kommen.«
    »Ein was?«
    Gregori lächelte. »Ein Konvektionsstrom. Wir haben das mal vor Jahren in einem Becken mit warmem Wasser und einer Scheibe aus Styropor simuliert. In dem ruhigen Wasser setzte beinahe augenblicklich ein Aufwärtsstrom ein, und zwar direkt unter dem Mittelpunkt der Platte. Das warme Wasser begann von ganz allein zu zirkulieren. Unter der Platte aufwärts, an den Rändern abwärts. Dort, wo das Wasser auf die

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