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Medusa

Medusa

Titel: Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Nass. Allerdings nicht so waghalsig wie sie, sondern langsam und mit den Füßen voraus. Schließlich wollte er keinen Herzschlag riskieren.
    »Feigling«, tönte es von der anderen Seite des Beckens. Hannah schwamm flink wie ein Fisch zu ihm herüber und verpasste ihm eine volle Ladung Spritzwasser.
    »Na warte, das bekommst du zurück!« Chris holte tief Luft und sprang mit dem Kopf voran in die kühlen Fluten. Er wollte unter ihr hindurchtauchen und sie überraschen. Mit kräftigen Zügen zog er sich in die Tiefe. Das Wasser war so klar, dass er bis zum Grund blicken konnte. Das Becken mochte über acht Meter tief sein. Ein Teil des Bodens war mit einer eigenartigen Struktur bedeckt, die an horizontale Treppenstufen erinnerte. Er stieß noch weiter hinunter und spürte, wie der Druck auf seine Ohren zunahm. Über sich sah er Hannahs schlanke Beine, die das Wasser aufwühlten. Vor ihm erhob sich das gegenüberliegende Felsufer. Noch während er darauf zusteuerte, bemerkte er eine seltsame Struktur auf dem felsigen Grund. Sie war Besorgnis erregend vertraut. Das gebrochene Licht der Sonne wogte über die Gravur und verlieh ihr einen höchst lebendigen Ausdruck. Die Auswüchse am Kopf sahen aus, als würden sie sich bewegen und nach ihm schnappen, während ihn ein dreilappiges Auge bösartig anfunkelte. Er stieg, so schnell er konnte, an die Oberfläche auf. Oben angekommen, schloss er die Augen vor der plötzlichen Helligkeit, während er nach Luft japste. Es dauerte einige Sekunden, bis er wieder sprechen konnte, und als er seine Stimme wiederfand, kamen die Worte stoßweise.
    »Medusa«, keuchte er. »Direkt unter unseren Füßen.«

8
    Die Nacht war mondlos und sternenklar. Es war kurz nach drei, und alle schliefen – bis auf Chris, der sich so sicher fühlte, dass er es gewagt hatte, per Satellit eine Videoschaltung aufzubauen.
    »Und Sie haben sie wirklich ganz genau gesehen?«
    Norman Strombergs Gesicht schob sich ein wenig näher an das Objektiv der Webcam. Noch etwas näher, und er würde sich seine breite Nase an ihr platt drücken.
    »Jawohl, Sir. Sie hatte einen Durchmesser von etwa einem Meter. Natürlich wirkte sie unter Wasser größer, aber die Details lassen keinen Zweifel zu, dass sie aus derselben Periode stammt wie die Tassili-Skulptur. Endlich haben wir wieder eine Spur.«
    »Großartig. Ich wünschte, ich könnte sie mit meinen eigenen Augen sehen.« Stromberg lehnte sich zurück und gab den Blick auf sein mahagonigetäfeltes Arbeitszimmer frei. Chris erkannte, dass die Kamera auf dem zentnerschweren Holztisch stand, der den Raum beherrschte.
    Nur ein einziges Mal in seinem Leben hatte er das Allerheiligste seines Arbeitgebers betreten, doch er erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen. Rechts vom Eingang stand eine mannshohe Ming-Vase. Links hing eine Steintafel aus Assyrien, die König Assurbanipal zu Pferde bei einer seiner geliebten Löwenjagden zeigte. In den Regalen zu beiden Seiten des Raums reihten sich goldene Trinkkelche aus Persepolis neben bemalten Krügen aus dem Palast von König Minos. Umrundete man die viertausendsiebenhundert Jahre alte goldene Harfe der Königin, die unter anderem ein Bildnis von König Gilgamesch im Kampf gegen zwei Stiere aufwies, fand man sich vor ebenjenem Tisch wieder, auf dem jetzt die Kamera stand. Die kleine Auswahl von Kunstgegenständen, die Stromberg in seinem Arbeitszimmer aufbewahrte, stand stellvertretend für zahlreiche Museen und Hunderte von streng gesicherten Fundstätten rund um den Globus. Die in Gold gefasste Weltkarte im Rücken des monumentalen Ledersessels markierte jeden einzelnen Ort des Imperiums.
    Strombergs Reichtum beruhte auf ausgedehnten Ölvorkommen in Alaska und dem Besitz der weltweit größten Tankerflotte. Er galt als einer der reichsten Männer der Welt. Doch schien er sich aus dem Reichtum nur insofern etwas zu machen, als ihm sein Geld den Weg zu immer neuen archäologischen Wundern ebnete. Fragte man ihn, was für ein Gefühl es sei, mehrfacher Milliardär zu sein, lief man Gefahr, vor die Tür gesetzt zu werden. Zeigte man ihm aber ein Mosaiksteinchen oder eine alte angelaufene Münze, begannen seine Augen zu leuchten. Dann konnte es geschehen, dass man in ein stundenlanges Gespräch über Weltgeschichte verwickelt wurde. Chris war ihm 1996 anlässlich des Weltklimagipfels in Kyoto begegnet, als er einen Vortrag über das rapide Abschmelzen des antarktischen Schelfeis-Gürtels hielt. Sein fundiertes Wissen über

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