Medusa
Gefühl, diesen Raum schon einmal gesehen zu haben. Wenn ich nachts einschlafe, dann träume ich von einem Tunnel, ganz ähnlich dem, durch den wir gerade gekrochen sind, nur viel länger. Er ist auch nicht so dunkel, sondern scheint zu leuchten. Dann komme ich in diesen Raum. Die Zeichen über unseren Köpfen leuchten ebenfalls und drehen sich, und auf dem Boden befindet sich ein strahlend helles Quadrat.«
Irene hob die Augenbrauen. »Und?«
»Nichts und. Das war’s. Vielleicht hätte ich es gar nicht erwähnen sollen.«
Malcolm schnaubte verächtlich, murmelte irgendetwas von Hokuspokus und legte sich auf die Seite, um zu schlafen.
Nun ließ Patrick die Schultern hängen. »Tut mir Leid«, murmelte er.
»Schon in Ordnung. Es kann sein, dass es noch wichtig wird.«
Hannah lächelte ihm aufmunternd zu. »Man weiß nie, ob einem solche Informationen noch einmal etwas nützen. Im Moment können wir jede noch so kleine Hilfe brauchen. Und jetzt, denke ich, ist es wirklich das Beste, wenn wir alle versuchen, ein wenig zu schlafen.«
Einer nach dem anderen befolgte ihren Vorschlag. Jeder suchte sich eine Stelle, die ihm bequem genug schien, um den Schlafsack auszubreiten. Albert und Irene stopften sich aus ihren Jacken ein Kopfkissen zurecht, während die anderen ihr Haupt einfach auf den kahlen Boden legten. Hannah drehte das Licht auf ein Minimum zurück, dann legte sie sich neben Abdu.
»Wie geht’s dir?«, flüsterte sie.
Er lächelte. »Ich musste gerade an meine Familie denken. Heute ist der zweite August, der Geburtstag meiner kleinen Tochter.«
»Wie alt ist sie?«
»Fünf. Und sie sieht genau aus wie ihre Mutter. Das gleiche strahlende Lächeln, die gleichen pechschwarzen Haare.«
Er schluckte. »Ich vermisse sie schrecklich.«
Hannah legte ihren Arm um ihn. »Es tut mir so Leid«, flüsterte sie. »Ich hätte dich in die Sache nicht mit reinziehen dürfen. Ich hätte dich zu deiner Familie heimschicken sollen.«
Er lächelte. »Du hättest es versuchen können, aber das hätte nichts genutzt. Du brauchst mich, und um nichts in der Welt hätte ich dieses Abenteuer verpassen wollen. Aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich jetzt auch gern ein bisschen ruhen. Ich bin hundemüde.« Er drehte sich auf die Seite und war nach wenigen Sekunden eingeschlafen. Hannah musste lächeln. Von allen Anwesenden war er derjenige gewesen, der in der Aufregung am ruhigsten geblieben war. Er hatte Recht. Sie wüsste nicht, was sie ohne ihn machen sollte.
Sie blickte sich um. Auch Chris atmete schon lang und gleichmäßig. Sie hätte sich gern an ihn geschmiegt, doch wollte sie die aufgestauten Emotionen in der Gruppe nicht unnötig aufheizen.
Seufzend legte sie ihren Kopf auf ihren Rucksack und schloss die Augen.
Als sie wieder erwachte, war der Raum leer. Sie war vollkommen allein.
Schrecken erfasste sie. War die Gruppe aufgebrochen, ohne ihr Bescheid zu sagen? Wie lange hatte sie geschlafen? Sie wollte auf die Uhr sehen, doch die befand sich nicht mehr an ihrem Handgelenk. Wahrscheinlich hatte sie sie im Sandsturm verloren.
Hannah kroch durch den schmalen Gang, um festzustellen, ob sich die Gruppe vielleicht vor der Höhle versammelt hatte und auf sie wartete. Hoffnung keimte in ihr auf. So musste es sein. Dennoch: Es war nicht fair, ihr einen solchen Schrecken einzujagen. Sie würde ihnen noch die Meinung sagen.
Während sie weiterkroch, stellte sie verwundert fest, dass der sandige Boden unter ihr keinerlei Kriechspuren aufwies. Er war so unberührt und jungfräulich wie zu Anbeginn der Zeit. Auch etwas anderes war merkwürdig. Sie hatte kein Licht dabei und konnte trotzdem alles erkennen. Die Wände des Schachtes schienen von innen her zu leuchten. Hannah wollte das Phänomen gerade näher betrachten, als ihre Hände gegen eine massive Wand stießen. Der Gang war versperrt. Sand, Geröll und dicke Felsbrocken machten ein Weiterkommen unmöglich. Verzweiflung erfasste ihr Herz. Die Angst, lebendig begraben zu sein, raubte ihr den Atem. Wie hatten sie sie nur allein lassen können? Allen voran Chris, in den sie so viel Vertrauen gesetzt hatte. Tränen rannen über ihre Wangen, als sie beschloss zurückzukriechen. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als sie wieder in der Krypta ankam. Sie blickte sich um. Auch hier war der Boden völlig unberührt. Außer ihr hatte noch nie jemand diesen Raum betreten. Voller Furcht umschlang sie sich mit beiden Armen. Hatte sie sich verlaufen?
Hatte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher