Medusa
Glücksgefühl. Sie hatte einem Menschen das Leben gerettet. Wer konnte das schon von sich behaupten?
Gregori knabberte weiter, doch hatte Hannah das Gefühl, dass er sie nicht aus den Augen ließ. Sie beschloss, sich davon nicht verunsichern zu lassen, und stand auf.
»Wenn sich alle einigermaßen erholt haben, sollten wir uns Gedanken um die Zukunft dieser Expedition machen.« Sie holte tief Luft. »Ich hoffe, dass Mano und seine Männer unbeschadet zum Lkw gelangen und Hilfe holen. Der Sturm wird auch sie überrascht haben, aber sie sind erfahrene Soldaten. Vielleicht hilft ihnen das Wetter sogar, unbemerkt den Rebellen zu entwischen. Was uns betrifft, sollten wir versuchen, uns mit irgendetwas zu beschäftigen.«
Irene strich sich durch ihr Haar. »An was hattest du dabei gedacht?«
»Wer nicht schlafen mag, könnte zum Beispiel versuchen, diese Inschriften zu entziffern. Es sind ja reichlich genug davon vorhanden. Ich denke, es ist für uns alle das Beste, wenn wir erst mal versuchen, Kraft zu tanken und uns auf andere Gedanken zu bringen.«
»Was ist, wenn Mano es nicht schafft?«
Hannah war überrascht, diese Frage von Irene zu hören. Normalerweise war Malcolm der Bedenkenträger.
»Was ist, wenn er sich auch vor dem Sturm verstecken musste oder wenn er gefangen genommen oder getötet wurde? So wie die anderen.«
»Gott bewahre, dass so etwas geschieht; aber in diesem Fall sollten wir die vereinbarten zweiundsiebzig Stunden abwarten und dann versuchen, uns allein durchzuschlagen. Ich weiß, dass die Warterei uns wie eine halbe Ewigkeit vorkommen wird, aber wir dürfen jetzt nicht aufgeben.«
»Nicht aufgeben, ha.« Malcolm schien kurz davor zu stehen, die Beherrschung zu verlieren. »Nicht aufgeben. Aus deinem Mund klingt das so zynisch, dass mir schlecht werden könnte. Du hast uns doch überhaupt erst in diese Situation gebracht. Du und deine bescheuerte Medusa.«
Irene stemmte die Hände in die Hüften. »Malcolm, hör sofort auf damit! Alle haben zugestimmt, hierher zu kommen, erinnerst du dich?«
»Ist doch gar nicht wahr! Ich war dafür, im Tassili N’Ajjer zu bleiben. Aber ihr wolltet ja unbedingt die harte Abenteuertour. Also schieb mir nicht die Verantwortung in die Schuhe.«
Malcolm war jetzt richtig in Fahrt. »Und dann erinnert euch an diese Hypnosegeschichte. Seitdem ist alles den Bach runtergegangen. Was immer unsere werte Kollegin anpackt, es endet in einer Katastrophe.«
»Jetzt reicht es mir aber.« Chris war aufgesprungen. »Ich höre mir diesen Mist nicht länger an. Schluss damit!«
»Sieh an, sieh an. Der Herr Liebhaber geht auf die Barrikaden.«
Malcolm war ebenfalls aufgestanden und kam drohend näher.
»Was ist? Willst du mir den Mund verbieten? Ich habe immer schon gesagt, was ich denke, geradeheraus und ohne Umschweife.«
»Vielleicht ist es Zeit, dass dir dafür mal jemand eine Lektion erteilt.«
»Hört sofort auf damit«, zischte Hannah und stellte sich zwischen die Kontrahenten. Die beiden funkelten sich böse an, wichen aber langsam voreinander zurück.
»Schluss jetzt damit.« Hannah atmete tief durch. »Wir sind alle angespannt, und die Tatsache, dass wir hier eingesperrt sind, macht es auch nicht leichter. Wir sollten jetzt Ruhe bewahren und zusammenhalten, nur so überleben wir das Ganze. Ich gebe dir Recht, Malcolm. Die Hypnose war ein Riesenfehler, und obwohl ich bis heute nicht weiß, was eigentlich vorgefallen ist, übernehme ich die volle Verantwortung dafür. Du hast mein Wort, dass ich alles tun werde, um uns hier sicher wieder hinauszubringen. Ich weiß nicht, ob es uns etwas nützt, aber ich wüsste gern von dir, Patrick, ob du dich an irgendetwas erinnerst, was du in der besagten Nacht erlebt hast.
Vielleicht gibt uns das einen Hinweis darauf, ob wir es hier mit einer höheren Gewalt zu tun haben.«
Patrick schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich an gar nichts. Tut mir Leid.«
»Du hast etwas von einem Auge gesagt, von einem leuchtenden Tunnel und einem unterirdischen See. Du fühltest dich verfolgt und wolltest fliehen, aber irgendetwas ließ dich nicht gehen.«
»Habe ich das wirklich gesagt? Ich kann mich nicht daran erinnern. Es ist wie verhext.«
Hannah ließ seufzend die Schultern hängen, doch Patrick war noch nicht fertig: »Ich weiß nicht, ob es uns etwas nützt, aber seit dieser Nacht habe ich immer denselben Traum.«
Alle Augen richteten sich auf den schmächtigen jungen Mann.
»Es mag seltsam klingen, aber ich habe das
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