Medusa
Erinnerungen wach an jene Nacht, in der es Patrick erwischt hatte. Ob sie in einen Zustand der Selbsthypnose gefallen war? Er wusste es nicht. Genauso wenig, wie er wusste, ob und wie man einen Menschen aus diesem Zustand wieder erlösen konnte.
Abdu wirkte wie versteinert. Er ließ Hannah los und sah zu, wie sie sich in Bewegung setzte. Malcolm und Albert wichen vor ihr zurück, als habe sie eine ansteckende Krankheit. Hannah kniete nieder und begann mit mechanischen Bewegungen zu graben. Der Boden war weich, und bereits nach wenigen Minuten war ein beachtliches Loch entstanden.
»Was tut sie denn da?«, fragte Irene.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Chris. »Vielleicht überlassen wir sie am besten sich selbst und hoffen, dass sich dieser Geisteszustand von selbst verflüchtigt.«
Ein Husten drang aus dem Tunnel. Als sie sich umdrehten, sahen sie, wie Patrick aus dem Tunnel kroch. »Es mag ja wie eine geistige Umnachtung aussehen, aber eines ist bittere Realität. Ich war eben im Tunnel und habe ihre Aussage überprüft. Ob Wahnsinn oder nicht, in einem Punkt hat sie absolut Recht. Der Ausgang ist versperrt.«
»Was sagst du da?«, platzte Irene heraus.
»Absolut dicht. Schlamm, schweres Geröll, Bruchstücke aus dem tragenden Gestein, und das alles schon nach etwa der Hälfte der Strecke. Um hier herauszukommen, bräuchten wir einen Bulldozer – oder Sprengstoff. Doch wir haben weder das eine noch das andere«, fügte er resigniert hinzu.
»Verdammt. Hannah war sich doch so sicher, dass wir nur einige Meter Sand beiseite zu schaffen hätten.« Alberts Stimme drohte zu kippen. »Wie sollen wir je wieder ans Tageslicht kommen? Wir sind am Ende.«
»Ruhig Blut«, besänftigte Irene, aber es klang, als glaubte sie selbst nicht, was sie sagte. Chris, dem ebenso mulmig war wie den anderen, sagte mit gefasstem Ton: »Ich werde Hannah helfen. Vielleicht kann ich so zu ihr durchdringen.«
Er wusste, dass das wenig hoffnungsvoll klang. Andererseits brachte es auch nichts, weiterhin zu lamentieren. Er hockte sich neben Hannah und half ihr, den lockeren Sand beiseite zu schaffen.
Ihr Gesicht hatte einen verbissenen Ausdruck. An welchem Ort sie sich befand und was gerade in ihrem Kopf vorging, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Aber sie hatte etwas gesehen, so viel war sicher. Verstohlen, aus dem Augenwinkel heraus, betrachtete er sie. Diese Frau trug etwas in sich, was ihn magisch anzog. Sie besaß ein inneres Licht, anders konnte er es nicht beschreiben …
»Was ist denn das?«
Chris schrak aus seinen Gedanken auf, als er Malcolms Stimme dicht neben seinem Ohr hörte.
Er blickte an seinen Fingern hinab und erschrak. Hannah war auf festen Untergrund gestoßen. Offenbar massiver Fels. Doch die Oberfläche war zu glatt und ebenmäßig, um natürlichen Ursprungs zu sein.
Kurz darauf stießen sie auf zwei Steinringe. Hannah hob den Kopf. Es schien, als sei sie wieder bei klarem Verstand. »Das ist es«, flüsterte sie. »Das ist der Weg, nach dem ich gesucht habe.«
Sie blickte sich um, und ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Ihr? Wie seid ihr zurückgekommen? Ich dachte, ihr wärt alle abgehauen.«
Chris nahm sie in den Arm und drückte sie, ohne sich darum zu kümmern, was die anderen denken mochten. Er war einfach nur glücklich. »Wir waren immer hier, du warst weg. Was ist nur mir dir geschehen?«
Sie schüttelte den Kopf, die Lippen aufeinander gepresst. Schließlich stammelte sie: »Ich bin aufgewacht, und ihr wart alle verschwunden. Dann habe ich versucht, euch durch den Tunnel zu folgen, aber der war versperrt. Es war so schrecklich.« Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Ich war so einsam. Und dann sah ich das Licht. Es schien aus der Mitte diese Raums zu kommen. Es war so hell, und es zog mich magisch an. Zuerst habe ich mich gewehrt, doch es hatte keinen Sinn. Ich habe noch gespürt, wie es mich in die Tiefe zog, und dann bin ich aufgewacht.«
Patrick atmete scharf ein. »Das gibt es doch nicht. Das ist mein Traum. Genau das erlebe ich Nacht für Nacht. Wie ist so etwas nur möglich?«
»Nun werdet mal nicht hysterisch«, polterte Malcolm. »Dafür gibt es sicher eine einfache Erklärung. Du hast uns doch vor wenigen Stunden deinen Traum erzählt. Hannah war weggetreten und hat die Geschichte in ihre Wahnvorstellungen eingebaut. Sorry, Hannah, ist nicht persönlich gemeint, aber würdet ihr beide endlich aufhören, euch und uns mit diesen Gespenstergeschichten verrückt
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