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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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eine Glühbirne auswechseln können, Axel verstaute seine Zunge nun wieder in seinem eigenen Mund. Sina trank, in Emanuels Zimmern war es zu heiß. Rauchig, überheizt, Sina hatte wirklich genug getrunken! Trank aber trotzdem weiter, während jemand begann, auf die Regierung zu schimpfen, Axel wollte jetzt mit Sina nach Kuwait fliegen (wieso Kuwait?). Die Teelichter zwischen den Platten und Schüsseln auf dem Büffet waren schon eine Weile heruntergebrannt.
    Die Efeuranken wanden sich müde durch die Soßenflecken auf der festlich goldenen Tischdecke: Isolierfolie. Das silbergoldene dünne Zeug, mit dem man Unfallopfer vor Unterkühlung schützt, Axel und seine Freunde wollten nun noch mit Sina in eine Bar.
    Ja, klar. Man konnte genausogut noch in eine Bar gehen, im Taxi hatte irgendeine Tussi einen nachweihnachtlichen Zusammenbruch. Einen alkoholinduzierten Einsamkeitsanfall, sie hockte neben Sina auf der Rückbank, in engen Satinhosen, semitransparentem Hemd, bei der Kälte! Sie heulte, sie wollte einen Mann. Eine Romanze, die ihr Leben verwandeln, sie erlösen würde aus dem Tal der Tränen, durch das sich die Singles schleppen am Ende des Millenniums, Sina gab ihr Papiertaschentücher. Sah aus dem Fenster: wo Flocken um die Lichtkegel der Straßenlaternen wirbelten, pelzige Wintermotten, dieTussi putzte sich die Nase. Lehnte schwer an Sinas Schulter in einer Wolke von Eau d’Issey und Prosecco, sie verlangte doch nicht zuviel vom Leben! Nur Mr. Right. Nach dem sie suchte wie nach einem Wintermantel: Dabei war längst Schlußverkauf. Am besten war es wahrscheinlich, man ging los und erwarb irgendwas Haltbares. Was farblich Neutrales, das zum Rest der Garderobe paßte, damit man nicht zuviel wegwerfen mußte, ansonsten konnte man sich immerhin noch ein Hobby zulegen. Käfer sezieren, Bierdeckel sammeln. Die weißglimmernden Schriftzeichen in grauen Bachkieseln studieren, irgend etwas piekte Sina ins Bein.
    Piekte unter dem Rock, während das Taxi sie durch die Nacht schaukelte, sie tastete: ein Buch. Sie zog es hervor, legte es auf ihren Schoß, draußen schneite es immer noch. Der Wagen durchtauchte einen Tunnel, hielt. Sina kramte ihre Sachen zusammen: Handschuhe, Tasche, wo war Axels Schal? Sie stiegen aus. Türen knallten. Das Taxi blinkte. Löste sich vom Straßenrand, ordnete sich ein, seine Rücklichter wurden zu ununterscheidbaren Perlen einer roten Kette. Die stockend durch den Tunnel hindurchglitt, ein Rosenkranz durch eine lockere Faust, erst jetzt bemerkte Sina, daß sie das Buch immer noch in der Hand hielt. Im Licht, das aus der Bar auf den Schnee fiel, las sie den Titel: Handbuch USA. Die Ostküste - Von Florida nach Maine .
    Beim Erwachen sah Sina als erstes den Himmel.
    Sah graue Wolken: die aufrissen, sich wieder zusammenfügten, einen Moment lang sahen sie aus wie ein Fuß mit Zehen. Ein riesiger grauer Fußabdruck mitten am Himmel, der voller Schnee hing, Axel lag neben ihr. Wasfür ein Unsinn war das nun wieder? Sina schloß die Augen. Kopfschmerzen, Übelkeit. Zunge pelzig wie ein Mäusehintern, das Klingeln des Telefons tat weh im Kopf. Sina tastete blind nach dem Hörer,
    »Also entschuldige schon, aber du hättest dich gestern wenigstens von mir verabschieden können«,
    Johannes natürlich.
    »Gesucht habe ich dich! Jeden nach dir gefragt, und wo wart ihr? Ach was. Wie kannst du nur in diesen blödsinnigen Schuppen gehen! Und dann noch ernstlich behaupten, du hättest Spaß gehabt«,
    Da war es, das elfte johanneische Gebot: Du sollst keinen Spaß haben ohne mich! Und? Hatte Sina es gestern abend gebrochen? Erinnerungsklumpen, unhandlich wie Glasscherben: an einen kippligen roten Barhocker, Caipirinhas mit zuviel Zucker. Dröhnende Latinohits, die sie mitgesungen hatten, ein bißchen Geknutsche. Eine Menge ernsthafter Unsinn über Beziehungen, den sie einander in die Ohren geschrien hatten, gegen vier waren sie dann mit einem Taxi zu Sinas Apartment gefahren. Ihr Kopf hatte an Axels Schulter gelehnt. Lichtschattenlichtspiel der Straßenlaternen unter ihren geschlossenen Lidern: während das Taxi anfuhr, hielt, anfuhr, später Cognac. Dann Axels Zunge. Eidechsenzunge: rasch, kühl, geschickt zwischen ihren Lippen, in weiteren Körperhöhlungen. Gerüche, Geschmack. Geflüster. Atemzüge in der lauwarmen Dunkelheit, während draußen der Schnee fiel: die üblichen Sekundenewigkeiten, und nun? Wie weiter?
    Am Himmel lösten sich die Wolkenzehen allmählich auf. Axels Arm wand sich schläfrig

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