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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Liebesgeschichte: der einzigen, die es gab, alle Verben darin waren Reflexiva: Ich verliebte mich, freute mich. Machte mich ohne Bedenken verletzlich, täuschte, ärgerte, trennte mich. Beschimpfte und bedauerte mich, Nabelguckerei: die ein Gegenüber noch nicht einmal sprachlich verlangte, Johannes hatte eine Warze am Kinn. Aus der Warze sprossen ein paar dunkle Haare. Wenn Johannes diese Haare vor dem Spiegel abschnitt, dann legte er den Kopf zurück, starrte an seiner winzigen Nase hinab, bis er schielte, spitzte den Mund, dessen Haut sich zusammenknüllte wie eine Papiertüte, so war Sina: Ein einziger Fehler, und ein Mann war unten durch. Eine einzige Kränkung, nur eine winzige charakterliche Schwäche, und schon fing sie an, sich den Kerl häßlich zu quatschen: mit einer wilden, zerstörerischen Freude, die nur auf einen psychischenDefekt zurückzuführen sein konnte, Sina ging zum Büffet. Um das sich die Esser drängten, sie nahm ein Brötchen mit Thunfischsalat. Ein paar marinierte Pilze, eine Scheibe Mozzarella,
    »Sinalein! Und, alles klar bei dir, hast du denn etwas gefunden, was du magst?«
    Da war er: Emanuel Ullrich. Küßte Sina auf die Wange, rein freundschaftlich. Während sie noch an ihrem Sandwich kaute,
    »Ich muß nachher unbedingt noch mal zu dir rüberkommen, hau mir bloß nicht einfach ab«,
    Ging weiter. Begrüßte nun Gabriel Phillips, den Werbetypen. Wartete nicht, bis Sina den Thunfisch runtergeschluckt hatte, antworten konnte, wie oft hatte Sina mit ihm geschlafen? Sechs – oder siebenmal vielleicht. Vorher hatten sie sich gewöhnlich in einem Restaurant getroffen: Es ist ein schöner alter Brauch, einer Frau etwas zu essen zu geben, bevor man sie fickt, Emanuel Ullrich hatte Kultur. Er wartete immer vor der Tür des Lokals auf sie. Begrüßte sie mit einem Kuß auf die Wange, schritt ihr voran. Wählte den Tisch, rückte ihren Stuhl. Wählte Weine: mit leicht spöttischer Kennerschaft, machte Sina geschickt Komplimente. Plauderte intelligent, erzählte Witziges: Zeitschriftenklatsch, Reiseanekdoten, schob dazwischen männlich-mächtige Bissen auf Silbergabeln in den Mund, meistens hatte er sich sogar gemerkt, was Sina ihm beim letzten Mal erzählt hatte. Es waren gelungene Abende, im großen und ganzen. Der Sex hinterher, in ihrem Einzimmerapartment, nicht viel mehr als ein Nachtisch. Ein Sektsorbet vielleicht. Oder etwas mit Früchten und Alkohol: leicht, kühl, interessant. Lediglich Abrundung des Menüs: das sonst allerdingseines unverzichtbaren Reizes entbehrt hätte, am nächsten Morgen fühlte sich Sina meistens beschwingt. Gracias, Don Juan! Warum war Sina überhaupt hergekommen?
    In Emanuels Wohnung: die sie zuvor noch niemals betreten hatte. In diese großen, geschmackvoll und teuer möblierten Räume: möbliert mit dem Geld seiner Frau, so hieß es, hier also spielte sich Emanuels Leben ab. Sein wirkliches Leben, im Fenster trieb die Spiegelung der Deckenleuchte weiterhin über das Meer der Stadt. Über die Felsen der Dachfirste,
    »Sina! Wie wunderbar, daß du hier bist, ich habe dich ewig nicht mehr gesehen«,
    Axel. Ein alter Bekannter, er holte Sina ein frisches Glas. Erzählte von China: wo er irgend etwas entworfen hatte für irgendwen, legte einen Arm um Sina, sollte sie jetzt mit ihm knutschen? Warum? Andererseits, warum nicht, das Sandwich war aufgegessen, Axel schob seine Zunge zwischen ihre Lippen. Sie verfolgte den Vorgang nicht ohne eine gewisse Neugierde: Er stellte sich recht geschickt an. Gab ihr den Profi-Lover: Aber hauptberuflich war er Designer. Jeder hier war Designer, oder ein Schreiberling. Werbedesigner, Food-Designer, Softwaredesigner, Abfallentsorgungscontainerdesigner, jeder Fuzzi ein Kreativer: oder Börsenmakler, gab es keine anderen Jobs mehr?
    Glockengießer, Bärentreiber.
    Holzfäller, Perlentaucher, Nagelschmied, Dachdecker, Jobs ohne eine Spur von Sozialprestige, miserabel bezahlt, ihr Vater war Dachdecker gewesen. War von seinen Dächern nur heruntergekommen, wenn es sich absolut nicht hatte vermeiden lassen. War selbst in den Pausen dort oben geblieben, hatte mittags seine Brote aufeinem First in der Sonne verzehrt, im Regen, im Graupel. Konnte nur dort oben durchatmen: das hatte er gesagt,
    Nimm mich doch mit, Papa, nimm mich mit hinauf,
    Wenn du groß bist, Sinakind. Wenn du groß bist,
    Dann war er krank geworden. Hatte eine Störung des Gleichgewichtssinnes davongetragen, keine Leiter mehr erklimmen dürfen. Hatte nicht einmal mehr

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