Meer ohne Strand
um Sinas Bauch, Sina ließ den Hörer in die Kissen fallen. Johannes’ Stimme brabbelte weiter: während Axel Sina nun küßte, seinMund schmeckte nach schalem Wein, kaltem Rauch wie ihr eigener. Axel stand auf, um ins Bad zu gehen. Dies hatten sie nun immerhin miteinander gehabt: die Intimität eines ungewaschenen Kusses, Sina klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr.
Den Weg in den Flur bewältigte sie halbwegs aufrechten Ganges. Wickelte sich in ein Strandtuch, das an der Wand hing, murmelte Verständnisvolles in den Hörer, wovon zum Teufel redete Johannes?
»– das mußt du doch verstehen, die Waschmaschine ist kaputt, die Katze ist krank, in der Redaktion ist Stromausfall, und ich soll um eins im Vier Jahreszeiten sein! Und prompt fahre ich mir natürlich auch noch an diesem Scheißblumenkübel hinten im Hof die Radkappe ab«,
Sie waren ein Jahr zusammengewesen: Und trotzdem hatte er immer noch nicht begriffen, daß Sina morgens nicht ansprechbar war. Oder es war ihm einfach egal, Sina lauschte den Erstickungsgeräuschen der Kaffeemaschine. Um nicht nachzudenken mit ekelhaft flauschigem Katerkopf. Um Johannes’ endlosen Litaneien nicht zuhören zu müssen, Johannes seinerseits war immer ansprechbar. Mußte immer alles klären, ausdiskutieren, was war die Alternative? Männer, die sich beim geringsten Mißverständnis in ihrem Schweigen vergruben.
Die den anderen anrennen ließen gegen ihre Mauer aus Schweigen, bis Blut kam, ein paar von Johannes’ Vorgängern waren so gewesen.
Sinas Vater war so gewesen. Das hatte Christa behauptet: Sinas Stiefmutter, nach irgendeinem Streit hatte sie auf dem Sofa gesessen, heulend. Bitte laß mich doch nicht immer gegen diese Mauer anrennen, Harald,
Der Vater hatte geseufzt. Hatte natürlich weitergeschwiegen,Hysterie verfing nicht bei Sinas Vater. Er war aus dem Zimmer gegangen.
Und hatte er auch Sinas Mutter anrennen lassen gegen die Schweigemauer?
Hatte er sie zum Bluten gebracht: Sinas Mama, er hatte den Kirschbaum umgehauen, der sie fallen gelassen, ihren Sturz nicht aufgefangen hatte. Er hatte die Äste, den Stamm in Stücke gehackt, hatte die Stücke verbrannt: so wurde es Sina berichtet, sie selbst war damals erst ein Jahr alt gewesen.
Besaß keinerlei eigene Erinnerungen an ihre Mutter. Als Kind, junges Mädchen hatte sie oft stundenlang über Fotos gebrütet. Hatte versucht, die mütterlichen Züge in ihrem eigenen Gesicht wiederzufinden: erfolglos, sie war ein Papakind. Sah haargenau aus wie der Vater: oder so sagten alle, wenigstens war sie mit ihrer Stiefmutter einigermaßen ausgekommen.
Besser jedenfalls als Christa und der Vater: die sich vor einigen Jahren getrennt hatten, Christa war weggezogen aus München. Sina telefonierte manchmal mit ihr. Zu Weihnachten, bei Geburtstagen, zum letzten Mal hatten sie sich auf der Beerdigung des Vaters gesehen.
Den Sina so lange wie irgend möglich selber gepflegt hatte, sie war wieder zu ihm gezogen in das kleine Haus ihrer Kindheit: das nicht mehr vertraut, niemals fremd genug war, um unbefangen bewohnt zu werden, morgens, bevor sie ins Büro ging, hatte sie erst den Vater versorgt. War in der Mittagspause nach Hause gehetzt, dann abends noch in den Supermarkt, sie hatte gekocht, geputzt, befleckte Krankenwäsche gewaschen. Hatte den Vater gefüttert, ihm Tee eingeflößt. Hatte seine Hand gehalten, sie hatten wenig miteinander geredet: wie immer. JedeNacht, sobald er eingeschlafen war, hatte sie sich davongeschlichen zu Johannes.
War in seine Wohnung getaumelt, zu Tode erschöpft. Hatte ihn sofort mit sich auf das Sofa gezogen. Hatte ihn ins Bett, auf den Teppich gezogen, blind, atemlos, sie konnte nicht an sich halten. Konnte sich nicht beherrschen, sie wußte, es jagte ihm Angst ein. Sie erschrak selbst, vor dieser Gier: begehrte auch nicht Johannes. Wußte nicht, wen oder was sie begehrte, Johannes wußte es natürlich.
Fand Erklärungen: wie er für alles Erklärungen fand, bevor es ihm unter die Haut gehen konnte, Sinas Gier war ein biologischer Impuls. War mithin ganz normal: Die Nähe des Todes erzeugte in Sinas Körper den Drang, schnellstmöglich neues Leben zu schaffen, Sina stellte ihn sich in wechselnden Gestalten vor, diesen pornografischen Tod aus der Apokalypse des Johannes: ein muskulöser Bote Gottes mit offener Hose, die Dinosaurierflügel verborgen unter der Motorradjacke. Ein Seraph, der spätnachts inmitten einer heißkalten Testosteron-Wolke aus einer unbeleuchteten Seitenstraße
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