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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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hatte nicht einmal Urlaub eingereicht! Wie konnte sie daran denken, einfach so einen Flug zu buchen,
    München Miami München.
    Ein offenes Ticket. Rückflug irgendwann binnen dreier Monate möglich,
    »Eine tolle Idee, Sina, wunderbar! Ach, ich wünschte, ich könnte mitkommen«,
    Emanuel Ullrich. Am Telefon, Stunden später: Er hatte sie angerufen. Hatte sich wieder an Sina erinnert: weil er sie auf seinem Fest gesehen hatte, Sina blätterte in dem Reiseführer, während sie mit ihm sprach. Sie würde sechs Wochen in Amerika bleiben: ihren gesamten Urlaub auf einmal nehmen,
    »Und was wird dein Boß dazu sagen?«
    Wahrscheinlich würde er ihr zwei Wochen bewilligen. Würde mit Kündigung drohen für den Fall, daß sie nicht pünktlich zurückkam, sie las den Abschnitt über Florida. Betrachtete Bilder von pastelligen Art-deco-Hotels,
    »Sehe ich dich denn wenigstens vorher noch, Sina?«
    Von Alligatoren im Sumpf. Betrachtete Bilder von Straßen, die das Häusermeer durchschnitten,
    »Also okay, Sina. Du rufst mich dann noch mal an, bevor du verschwindest«,
    Von schnurgeraden Straßen, die durch Wälder strömten. Die über Ebenen flössen, mitten hinein in den Horizont. Die in den Horizont mündeten, sich dahinter verloren: in dem verschwommenen Blau jenseits des Bildes.

III
    Vom Flughafen Erding in die Stadt hinein nahm Robert ein Taxi. Saß im Fond, draußen regnete es auf braune schneelose Winterfelder. Auf Industriebauten, grauen Beton, auf Steinhaufen, die den Raum zerrissen, sich hinter dem Swisch-swisch der Scheibenwischer allmählich zu Vorstadt verdichteten: Restaurant Delphi Pizzeria Da Mario Waschsalon Tengelmann. Ein Tunnel. Ein toter Brunnen. Plakatwände, fleckig vor Nässe, kahle Bäume in Rechtecken aus Dreck, dann die Straße, in der er wohnte: verkehrsberuhigt, mit Waschbetonkübeln. Das Haus an der Ecke: Gründerzeitkasten, die beiden Steinköpfe über der Tür waren augenlos. Der Regen bildete Wasserfälle über ihren geöffneten Mündern, er wohnte im ersten Stock.
    Beletage, er mußte den Schlüssel zweimal im Schloß drehen: Sie war also nicht da. Er verbot sich zu fühlen: Enttäuschung Erleichterung Zorn, ließ seinen Koffer in der Diele stehen. Ging am Wohnzimmer vorbei in sein Arbeitszimmer, drehte den Ledersessel vom Fenster weg, bevor er sich setzte, auf dem Schreibtisch stapelte sich die Post. Sein alter blauer Pullover lag auf dem Sofa, wie bei seiner Abfahrt. Der Ficus in der Ecke war beinahe kahl. Die Blätter segelten bei jedem Luftzug übers Parkett, Schiffchen mit gerollten Seiten, Robert schloß die Augen. Genoß einen Moment lang den Jetlag, das Betäubendeder Müdigkeit, wann würden die Füße zu schmerzen aufhören? Vielleicht niemals wieder. Die Kälte war ins Innere seiner Knochen gedrungen. Hatte sich im Mark festgesetzt, er mußte Gabriel anrufen. Seinen Freund Gabriel, er schuldete Gabriel Dank. Schuldete ihm wenigstens Informationen: über das Haus am Cape, jetzt im Winter, er hatte keine Lust, Gabriel anzurufen. Er mußte sich bei seiner Mutter melden.
    Die nach dem Tod des Vaters zu ihrer Schwester nach Karlsruhe gezogen war, Robert rief sie nicht häufig an, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit.
    Robert, der jüngste der drei Söhne. Der Dummerjan: sportlich eine Niete, musisch unbegabt. Mittelmäßiger Schüler. Schlußlicht der Familie: unerbetener Nachzügler, was würde er seiner Mutter berichten? Ich hätte sterben können dort oben im Schnee, Mama,
    Roberts Mutter ihrerseits würde von Gerhard sprechen. Von ihren Hoffnungen für Gerhard, ihren Sorgen um Gerhard, Gerhard war irgendwo in Berlin. Der zweite der drei Söhne. Der Liebling der Mutter: das verträumte, zu Höherem berufene Sorgenkind, er trieb irgend etwas Undurchschaubares, das mit Musik zu tun hatte oder vielleicht auch mit Kokain, wo hatte Gerhard gesteckt, als der Vater gestorben war?
    Irgendwo in Asien. Unerreichbar, wie immer, Robert war jeden Tag ins Krankenhaus gefahren. Hatte über Monate Abend für Abend am Bett seines Vaters gesessen, seine Hand gehalten: während der Vater nach Peter weinte. Nach dem ältesten Bruder. Dem Draufgänger: Papas Sonnyboy, mit zweiundzwanzig Jahren war Peter beim Drachenfliegen in den Alpen abgestürzt. War danach endgültig heiliggesprochen worden, Robert war damalsfünfzehn gewesen. Erinnerte sich an seinen eigenen überwältigenden Kinderkummer: während er zuhörte, wie sein sterbender Vater leise den Namen des Bruders ins Kissen wimmerte,

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