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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Hölle zu, als daß ich dir mein Kind lasse!
    Nun stritten sie sich auf einmal wie die Katzen. Stritten um Geld, um Toms Kind. Um Verletzungen: die sie einander im Laufe der Jahre angeblich zugefügt hatten, das Haus stand zum Verkauf, welche Verletzungen denn nur? Es war die Rede vom Ende der Geduld. Von unerträglicher Langeweile, bedrückender Enge, von Rücksichtslosigkeiten auch, Desinteresse, nein, Sina würde heute nicht zu Gaby fahren.
    Und was ging Sina überhaupt Gabys Ehe an? Sina, die Eingliederungskünstlerin: die mit Gaby den Gemüsegarten umgegraben, mit Tom einen Meerschweinchenstall gebaut hatte. Kinderfinger, die sich auf dem Heimweg vom Spielplatz in Sinas Hand geschoben hatten, entschlossen und eisklebrig: Sina, die fünfte in der Familie.
    Das fünfte Rad am Wagen, warum war Sina eigentlich nicht selber verheiratet? Warum ruinierte sie nicht eine eigene Ehe, ganz für sich allein, Sina in ihrer Kochnische betrachtete die Pinnwand über der Spüle. Wo eine Liste mit den Öffnungszeiten der Stadtbücherei hing. Eine Quittung über eine Autobatterie, eine alte Postkarte von Gaby. Ein Zettel: Ein Schuft, wer mehr stirbt, als er sterben muß, sie hatte das einmal irgendwo abgeschrieben. Axel duschte noch immer.
    Emanuel Ullrich schlief wahrscheinlich noch. Lag neben seiner Frau in dem überbreiten Ehebett, das Sina gestern besichtigt hatte. Atmete tief, ohne zu schnarchen, nach dem Aufwachen hatte er immer etwas Zärtliches zu Sina gesagt. Etwas Albernes, Grunddummes: Mach den Kaffee mit viel Milch kalt, Sina, ich will ihn aus deinem Bauchnabel schlürfen,
    Hatte dann einen Schluck aus der Tasse genommen, den Rest stehenlassen. War in sein Büro verschwunden: wo er frische Wäsche aufbewahrte, ein Hemd. Einen Rasierer, was sagte er seiner Frau?
    Liebling, reg dich doch bitte nicht auf. Ich habe eben so lange mit den Jungs rumgehangen, dann bin ich lieber direkt ins Büro,
    Wahrscheinlich langweilte ihn seine Frau, nach all den Jahren. Wahrscheinlich wurde jeder dem anderen langweilig: Sobald man ihn nicht mehr wahrnahm, weil man sich einbildete, man wüßte jetzt genug über ihn, Sina konnte ihre Stiefmutter sagen hören: Langweilig? Langweilig ist nur das, wovon man zu wenig versteht.
    Und vielleicht stimmte beides.
    So daß einen zuletzt das Bekannte ebenso anödete wie das Fremde, der Kaffee war jetzt fertig. Axel kam aus der Dusche, ein Handtuch um die Hüften. Zog im Vorbeigehen Sina an sich, roch gut: nach Sinas Duschgel, Zahnpasta, hatte er womöglich ihre Zahnbürste genommen? Sina füllte zwei Kaffeetassen, milchlos. Axel zog sein Hemd an. Sagte,
    »Wollen wir morgen irgendwas machen, Sina? Wir könnten vielleicht zum Skifahren gehen oder so«,
    »Klar«, sagte Sina. Lächelte Axel an, warum brauchte er so verdammt lange, um sein Hemd zuzuknöpfen?
    Um endlich zu verschwinden, auf dem Tisch rieben zwei Cognacgläser die Bäuche aneinander. Ein einsames Wasserglas mit Aspirinresten stand da, neben einem zerknüllten Schal, einer Armbanduhr, die nicht ging, dem Buch aus dem Taxi, Sina schlug es auf. Handbuch USA. Die Ostküste – Von Florida nach Maine, sie blätterte. Las nur die Überschriften: Charleston Key West Savannah Miami, es waren Namen, die nach Sommer klangen.
    Die Namen von Städten, die fremd waren, im letzten August hatte sie sich einmal in München verlaufen. Hatte sich in der Dämmerung unvermittelt in einer anderen Stadt wiedergefunden: in einem unbekannten Villenviertel, die Luft abendlichvorstädtisch, süß. Violetter Himmel, dann plötzlich Brandmauern. Kleine Läden mit hölzernen Jalousien, Katzen, alles war unvertraut gewesen: bis auf die Reklametafeln. Deren Texte und Bilder waren wie immer, so daß es ihr plötzlich schien, als wäre sie nicht in der Stadt verlorengegangen, sondern in der Zeit. Als wäre sie noch immer in ihrem Viertel: aber in einer anderen Ära mit anderen Bauten, und nur die Reklame war übriggeblieben, Unsinn das alles, an der Ecke war eine Bushaltestelle gewesen.
    Ein Fahrplan, säuberlich Zeiten und Straßennamen darauf. Harras, Marienplatz, alles bekannt, ein Taxistand gegenüber, sie hätte den Fahrpreis nach Hause jetzt schätzen können: Aber einen Moment lang war alles fremd gewesen und deswegen sehr wirklich. Ein Abenteuer: Als hätte ihr plötzlich etwas klarwerden, der ganze Unfug auf einen Schlag einen Sinn erhalten können, dann war der Bus gekommen. Durch die niedersinkende Dunkelheit waren sie miteinander davongefahren: ein Penner,

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