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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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an. Trat aus seinem Zimmer auf den Parkplatz, auf dem Asphalt lag Tau. Die Luft war noch kühl, Sonne schien schräg auf den Wald weiter hinten, er hörte den Ruf eines Vogels. Es erinnerte ihn an etwas, dann wußte er es: die ersten Takte von Cirrus Minor. Ein Stück von Pink Floyd. Uralt, auf einer Scheibe aus den Sechzigern: Damals hatte er schon gelebt, er fand das erstaunlich. Fühlte sich einen Moment lang sentimental werden, hatte Lust, sich auszulachen. Ging über nassen Asphalt, in der winzigen Rezeption standen Thermoskannen mit Kaffee auf dem Ecktisch. Muffins dampften in einem beschlagenen Warmhaltegerät, er nickte einem alten Mann zu, der in einer Ecke saß, nahm sich Kaffee. Setzte sich an einen der drei Plastiktische, auf dem Stuhl neben ihm lag eine Straßenkarte aus dem Visitor Center: Rhode Island - The Ocean State . Der nächste Bundesstaat, den er durchqueren mußte. Während der Kaffeeweißer die Brühe in seinem Styroporbecher dunkelgrau färbte, las er Ortsnamen: Pawcatuck, Misquamicut. Merkte, daß er zu lächeln begann: Quonochontauk, Matunuck, Narragansett, brachte seine Mundwinkel wieder in Ordnung. Trank seinen Kaffee,der dünn war und heiß. Als er ging, steckte er die Karte ein.
    Draußen auf dem Parkplatz war die Sonne jetzt stark. Schien kraftvoll durch die immer noch kühle Luft, von oben drang ein einzelner Möwenschrei zu ihm herab. Er stieg in den Wagen: der unvertraut roch, er konnte nach Quonochontauk fahren, wenn er wollte. Er konnte nach Pawcatuck fahren, nach Misquamicut oder sonstwohin: Er war allein, an der ersten Ausfahrt verließ er die Interstate.
    Fuhr auf die US-i, dann weiter nach Nordosten. Sah Factory Outlets, Shopping Malls, Tire Dealers, beschloß, auf Nebenstraßen nach Providence zu fahren. War mutig: bog einfach irgendwo ab. Fuhr ein Stück, ohne genau zu wissen, wohin, war nun in einem Wald. Sah auf die Karte. Stellte fest, daß er auf einer Straße sein mußte, die keine Nummer trug, las: Galilee, Jerusalem. Snug Harbour, Point Judith, er berauschte sich an den Namen, ohne die Orte erreichen zu wollen, die sie bezeichneten. Vielleicht würde er nach Usquepaug kommen, wenn er einfach weiterfuhr: auf leeren Straßen, durch Grün. Dichtes Unterholz links und rechts, die purpurnen Wolken riesiger Rhododendren im Schatten des Waldes. Manchmal ein Weg in den Wald hinein. Manchmal ein Haus, tief drinnen zwischen Bäumen. Briefkästen am Straßenrand, windschief im Nirgendwo. Orangerote Blumen am Wegrand, Feuerlilien vielleicht, er hatte das Fenster heruntergekurbelt. Hatte das Radio ausgeknipst, mußte ein paarmal Entscheidungen treffen: rechts links geradeaus, niemand wußte, wo er jetzt war.
    Er selbst wußte nicht, wo er war, er kam aus dem Wald heraus, sah vor sich weiße Häuser mit breiten Veranden.
    Dann ein öffentliches Gebäude. Eine Bibliothek vielleicht, ionische Säulen, Portikus aus Granit, er freute sich, als ihm der Fachbegriff einfiel: Grecian vernacular. Er sah eine Frau mit einer braunen Papiertüte auf dem Arm. Einen Mann in einem Vorgarten mit einem Wasserschlauch, ein paar Läden: Ye Olde Food Shoppe, Harvey’s Bait’n’-Tackle Store, Möwen auf dem Dachfirst, mit den Schnäbeln im Wind. Dann tauchte plötzlich das Meer auf.
    Zu seiner Linken. Auf der falschen Seite, er fuhr trotzdem weiter, jetzt war auch rechts von ihm Wasser, die Straße endete auf einem Parkplatz. Er war auf einer Landzunge. Der Parkplatz war leer. Der Himmel war atemberaubend leer, er stand im Wind, der stark war, lief dann Richtung Strand. Übermannshohes Schilf an einem Brackwasserteich, der Strand war schmal, er wünschte sich einen Moment, die Sorte Mann zu sein, die etwas völlig Verrücktes tun konnte. Oder Natalie hierzuhaben: die es vielleicht für ihn getan hätte, er schob den Gedanken sofort wieder von sich. Das Wasser war eisblau, weiter drüben auf einem Steg stand ein Angler. Ein paar Segel, draußen auf dem Wasser. Ein paar Boote: die er für Fischkutter hielt. Für Hummerfischer vielleicht, jetzt war er hungrig.
    Ging zurück zum Wagen, den Wind im Rücken. Fuhr die Straße ein Stück zurück, dann an einem Meeresarm entlang, die Schindelhäuser links und rechts waren angefressen vom Salzwind. An einem hing ein Schild: Martha’s Chowder House . Im Inneren Chromstühle, Resopaltische. Ein dickes, freundliches Mädchen empfing ihn, war sie Martha? Sie trug kein Namensschildchen, auf ihrer blauen Kappe stand: Harvey’s Bait’n’Tackle Store .
    Das

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